Soest "Soester Antependium", Hochaltarretabel der St. Walburgiskirche, um 1170 – 1180
Bei dem aus der zerstörten Soester St.-Walburgiskirche stammenden Gemälde handelt es sich um das älteste Tafelbild (das heißt Malerei auf einer Holztafel) nördlich der Alpen. Aus der Wiesenkirche in Soest, wo es unter widrigen Umständen gelagert worden war, gelangte es 1908 nach Münster und zählt somit zum ältesten Kunstbesitz des Museums. Zentrum der Tafel ist der „Secundus Adventus", die zweite Erscheinung Christi auf Erden, begleitet von den vier Evangelistensymbolen, die zugleich die vier göttlichen Geheimnisse versinnbildlichen: der Engel die Menschwerdung (Matthäus), der Stier den Opfertod (Lukas), der Löwe die Auferstehung (Markus) und der Adler die Himmelfahrt (Johannes). Zuseiten des Regenbogenthrons stehen Maria und die heilige Walburga (die Patronin des Frauenstifts), Johannes der Täufer und der heilige Augustinus (nach dessen Regeln die Nonnen lebten). Die Miniaturarchitekturen in den Arkadenzwickeln und der Goldgrund machen klar, dass sich die Szene im goldglänzenden Himmlischen Jerusalem abspielt. Die dem Weltenherrscher zugewandten Heiligen bitten um Gnade für die Gläubigen am Tag des Jüngsten Gerichts, insbesondere für die Frauen des Walburgisstifts. Der eigentliche Schlüssel zum Verständnis des Bildprogramms und der Funktion des Gemäldes liegt in der Inschrift des Buches, das Christus hält (aus dem Lateinischen übersetzt): „Ich bin das lebendige Brot, das aus dem Himmel niedergestiegen" (Joh. 6,51). Damit wird auf die Eucharistie, das Gedenkmahl zum Tode Christi, und den mystischen Moment der „realen" Wandlung von Hostie und Wein zu Leib und Blut des Erlösers verwiesen. Auch die übrigen Motive, der sogenannte Septenar Marias (die Sieben Gaben des Heiligen Geistes) und das Johanneslamm, das für die Menschheit geopferte „Agnus Dei" (Lamm Gottes), stehen in Bezug zu dem zentralen Moment jeder Messfeier. All dies spricht dafür, dass es sich bei dem kostbaren Werk nicht – wie man lange glaubte – um ein Antependium (eine vor dem Altar aufgestellte Schmuckplatte), sondern um den Aufsatz des Hauptaltars handelt. Das 1166 erstmals erwähnte Walburgiskloster war eine Stiftung des Kölner Erzbischofs für die Töchter seiner Dienstleute und seiner Klientel in der Salz- und Handelsstadt Soest, dem Mittelpunkt seiner Besitzungen in Westfalen. Es bezeugt die engen kulturellen Beziehungen zwischen Köln und Westfalen, war doch Westfalen südlich der Lippe auch Teil des Erzbistums Köln. Es ist möglich, dass Erzbischof Philipp von Heinsberg (amtierte 1167 bis 1191) das Retabel in Köln in Auftrag gab. Trotz seines relativ schlechten Erhaltungszustandes beeindruckt es durch die hohe Qualität seiner feinen, kontrastreichen Malerei.
Petra Marx
Petra Marx: Die Fürbitte-Tafel des „Fröndenberger Meisters" aus der Walburgiskirche in Soest. Überlegungen zu Ikonographie, Bildprogramm und ursprünglichem Standort. In: Dies. (Hg.): Neue Forschungen zur Alten Kunst (Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde, Bd. 85/86). Münster 2010. S. 191-219, bes. S. 214/215. Géza Jászai: „Das schaubare Wort". Randbemerkungen zum Antependium aus der ehemaligen romanischen Klosterkirche St. Walburga zu Soest. In: Soester Zeitschrift. Zeitschrift des Vereins für Geschichte und Heimatpflege Soest 118/119. 2006/2007. S. 7-23. Joachim Poeschke: Das Soester Antependium. Fakten, Fragen, Hypothesen. In: Ders. [u. a.] (Hg.): Das Soester Antependium und die frühe mittelalterliche Tafelmalerei. Kunsttechnische und kunsthistorische Beiträge (Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde, Bd. 80). Münster 2002. S. 11-36. Petra Marx: "Soester Antependium", um 1179/80, in: Einblicke – Ausblicke. Spitzenwerke im neuen LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster, hrsg. v. Hermann Arnold, im Auftrag des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, Wienand Verlag, Köln 2014, S. 60f.
Leihgabe des Westfälischen Kunstvereins
Maße
Höhe 99 cm Breite 195.5 cm Tiefe 7 cm
Material
Tempera, Lindenholz, Eichenholz Inventarnummer
1 WKV Standort
Raum 1.02 Kunstwerk des Monats
KdM_01_1992.pdf