Karl Schmidt-Rottluff Patroklusturm in Soest, 1922
Der grün-braune Turm sprengt violett auflodernd in den blauen Himmel. Seine wuchtige Darstellung, unterstützt durch die intensive Farbigkeit, nimmt das Auge gefangen. Die Monumentalität, die Kirchner der Brücke-Chronik zufolge schon in den frühen Arbeiten Schmidt-Rottluffs zu erkennen glaubte, kommt in den Bildern der 1920er Jahre verstärkt zum Ausdruck. Der enge Bildausschnitt steigert die Dimensionen des Baus, und eine außergewöhnliche, visionäre Kraft wird greifbar. Großzügige, vereinfacht wiedergegebene Formen und große Flächenzonen bestimmen den Charakter der Komposition. Innerhalb dieser Begrenzungen entwickelt die Farbe ein Eigenleben. Ein kräftiges Blau, ein Ocker und ein Rotbraun dominieren. Zonen reiner Farbigkeit greifen ineinander und versetzen die Oberfläche in einen schwingenden Rhythmus. Die Stadt Soest mit ihren zahlreichen Motiven, den alten Türmen und Fachwerkhäusern, inspirierte viele Künstler des Expressionismus. Neben Christian Rohlfs, Emil Nolde, Johannes Molzahn und anderen verbrachte auch Karl Schmidt-Rottluff 1921 einige Tage dort und hielt die Eigenarten dieser Stadt fest. Die Ansicht des Westturmes der Kirche St. Patroklus entstand ein Jahr nach einer Reise des Künstlers durch Westfalen, wo ihn besonders die romanischen Bauwerke beeindruckt hatten. Bereits zehn Jahre zuvor hatte Schmidt-Rottluff ein Bild des Hamburger Petriturms, das sich heute in Privatbesitz befindet, extrem farbig und formgewaltig gemalt. Der Turm gleicht einer Flamme, die in der Tektonik des Baukörpers von St. Patroklus ruht. Im Vergleich zum ein Jahr früher entstandenen Aquarell »Patroklusturm in Soest« erreichte der Künstler die Monumentalisierung durch das Weglassen des gotischen Dachreiters und ohne den Zusatz flankierender Bauten. Sowohl das Aquarell wie auch das Gemälde befanden sich ehemals in der Sammlung Rauert. Das Ölbild wurde 1955 vom Westfälischen Landesmuseum erworben. Eine dritte Fassung von 1939 erwarb 1974 der Vatikan beim Künstler. Viele Künstler verstanden damals die architektonische Form der Kathedrale als ein Symbol für den Aufbruch in eine neue Zeit. So gestaltete zum Beispiel Lyonel Feininger das Titelblatt des Bauhaus-Programms von 1919 mit dem Holzschnitt einer Kathedrale.
Tanja Pirsig-Marshall
Moeller, Magdalena M.: Karl Schmidt-Rottluff. Eine Monographie. Berlin 2010. Moeller, Magdalena M.: Karl Schmidt-Rottluff. Formen und Farbe. München 2007. Moeller, Magdalena M. (Hg.): Karl Schmidt-Rottluff. Ein Maler des 20. Jahrhunderts. Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen von 1905–1922. München 2001. Thiem, Gunther, u. Armin Zweite: Karl Schmidt-Rottluff, Retrospektive. Bremen und München 1989. S. 267.
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Erworben mit Unterstützung des Kulturkreises der deutschen Wirtschaft im BDI e. V.
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- - o.J. (wohl mind. 1934)–1955 Paul und Martha Rauert, Hamburg - 1955 Galerie Hoffmann, Hamburg, in Kommission von Martha Rauert, Hamburg - seit 1955 LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster, erworben von der Galerie Hoffmann, Hamburg