Karl Schmidt-Rottluff Frau mit verbundenem Kopf, 1920
Wann genau Ferdinand Möller (1882–1956) das Gemälde „Frau mit verbundenem Kopf“ von Karl Schmidt-Rottluff erwirbt, ist auch nach Sichtung seines schriftlichen Nachlasses in der Berlinischen Galerie nicht ersichtlich. Er verfügt aber nachweislich seit spätestens 1929 über das Gemälde, als er es für eine Ausstellung nach Danzig leiht. Gut möglich ist, dass der Kunsthändler es direkt bei dem Maler erworben hatte. Im März 1938 übersendet Möller das Gemälde zusammen mit weiteren Werken aus seinem Besitz an den in Detroit lebenden Kunsthistoriker Dr. Wilhelm Valentiner (1880–1958) in die USA. Vermutlich hatte Möller ein Auge auf den wachsenden Absatzmarkt für deutsche Kunst der Moderne in Amerika geworfen, während es in Deutschland seit der Machtergreifung der Nationalsozialisten zunehmend schwieriger geworden war, mit dieser zu handeln. Mit der Beschlagnahme aller sogenannter „Entarteter Kunst“ in den öffentlichen Einrichtungen wird es dann nahezu unmöglich mit Werken zu agieren, die nicht dem ideologischen und ästhetischen Kanon der Machthaber entsprechen. Möglicherweise befürchtet Möller, dass man früher oder später auch private Sammlungen „säubern“ würde, so erscheint die ergriffene Maßnahme der Auslagerung nachvollziehbar. Doch der Kriegsausbruch erschwert Möllers Zugriff auf die Werke in Übersee: Zwischen 1939 und 1947 erliegt die Korrespondenz zwischen ihm und Valentiner gänzlich. Die Leihgaben überdauern den Krieg in Detroit. Als Möller Valentiner nach Kriegsende an dessen neuen Arbeitsplatz am County Museum von Los Angeles erreicht, gibt Valentiner an, die Gemälde seien noch in Detroit. Erst 1950 gelingt es Möller herauszufinden, dass die Gemälde – darunter Schmidt-Rottluffs „Frau mit verbundenem Kopf“ – im Dezember 1940 von der US-amerikanischen Regierung als Feindvermögen beschlagnahmt worden waren. Der Zugriff erfolgte als Sanktion und Kriegsrepressalie der Alliierten gegenüber deutschem Privatbesitz. Etliche Ersuche um Rückgabe verlaufen ins Leere. Möller erfährt zu spät, dass die Frist um Restitution im Oktober 1950 abgelaufen war. In der Folge stellen renommierte Fachleute Gutachten aus, die Möller den rechtmäßigen Besitz der Bilder bestätigen, und auch das Konsulat der neu gegründeten BRD in New York setzt sich für ihn ein. Doch die amerikanischen Behörden erhalten die Konfiszierung aufrecht. Möller stirbt 1956, ohne seine Bilder wieder erhalten zu haben. Seine Witwe und Tochter führen die Bemühungen fort, 1957 fliegen sie nach Washington und erwirken in einer persönlichen Unterredung endlich eine Lösung: zwei Gemälde der Sammlung werden an amerikanische Museen geschenkt, die restlichen siebzehn, mitsamt der „Frau mit verbundenem Kopf“, können sie für insgesamt 16.000 $ zurückerwerben. Über den Düsseldorfer Kunsthändler Wilhelm Grosshennig (1893–1983) gelangt das Kunstwerk dann 1962 in die Sammlung des Museums. In den Verhandlungen zum Ankauf des Gemäldes zwischen dem Museum und Grosshennig schreibt dieser: „Dr. Valentiner hat das Bild 1937 von dem jetzigen Besitzer in eine amerikanische Ausstellung deutscher Kunst entliehen; aus dieser Kollektion ist es jetzt zurückgekommen.“ Den entscheidenden Hinweis auf die von Grosshennig erwähnte „Kollektion“ gibt das Werkverzeichnis der Gemälde von Schmidt-Rottluff von 1956. Dort ist als derzeitiger Besitzer des Gemäldes der in Münster geborene Kunsthändler „Ferdinand Möller, Berlin“ angegeben. Dass der Name Ferdinand Möllers in nicht wenigen Biografien von Werken der Klassischen Moderne auftaucht, hat jedoch nicht nur mit seiner Rolle als einer der bedeutenden Galeristen zwischen 1917 und 1956 zu tun. Als nicht-jüdischer Händler konnte Möller seine Tätigkeit auch nach 1933 fortführen und war einer der Wenigen, die den Markt für die deutsche Moderne fast bis zum Ende des Krieges erhielten. Jedoch war Möller auch einer der vier Kunsthändler, die vom Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda mit der „Verwertung“ der 1937 als „entartet“ beschlagnahmten Kunst beauftragt worden war. Aus diesem Engagement ging Möller zweifellos als Profiteur hervor, gleichzeitig bewahrte er aber auch unzählige Hauptwerke des Klassischen Moderne vor der Zerstörung oder dem Verkauf ins Ausland.
Eline van Dijk
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024
- - spät. 1929–mind. 1957 Galerie Ferdinand Möller, Berlin/Köln - 1940–1957 US-Regierung, Washington DC, Beschlagnahme als Feindvermögen aus dem Besitz Ferdinand Möllers - 1957 Maria Möller-Garny, Köln, Rückkauf - spät. 1962 Galerie Wilhelm Großhennig, Düsseldorf, wohl aus dem Nachlass Möllers erworben - seit 1962 LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster, erworben von der Galerie Wilhelm Großhennig, Düsseldorf