Ludger tom Ring, der Jüngere Vase mit Schwertlilien und Iris, 1562
Zu den großen Schätzen des Museums zählen die beiden Blumenbilder Ludger tom Rings d. J. – sie sind die frühesten datierten Blumenstücke, die bekannt sind. Die Herauslösung der »toten« Dinge aus einem übergeordneten Zusammenhang, ihre Entdeckung als eigenständiges Bildthema, vollzieht sich vor dem Hintergrund des forschenden Interesses der Renaissance. So waren die botanischen Lehr- und Bestimmungsbücher, die im 16. Jahrhundert herausgegeben wurden, eine wichtige Quelle für die Entwicklung des Blumenstilllebens. Die als Paar konzipierten Blumensträuße in bauchigen Alabastergefäßen setzen sich aus Lilien, gelben Sumpfschwertlilien und Iris zusammen, wobei die heute braun erscheinenden Blüten ursprünglich blau waren – ein Farbverlust, der durch die Zusammensetzung der verwendeten Lasuren bedingt ist. Der Maler zeigt die Blumen in wissenschaftlicher Akribie als »Pflanzenporträts« in unterschiedlichen Ansichten und Stadien der Blütenöffnung. In den sich auflösenden Blütenblättern der gelben Iris ist auch ihre Vergänglichkeit festgehalten. Mit der Wahl von Lilien und Iris offenbart der Maler aber auch seine Verwurzelung in der Tradition der mittelalterlichen Pflanzensymbolik – hier stehen sie für die Keuschheit Marias und das Mitleiden an der Passion Christi. Die Konsequenz der Pflanzenwahl und ihre suggestive Präsentation erhellen sich in der Zusammenschau mit den beiden glattwandigen Alabastervasen, an deren Halseinzug Datierung und Malermonogramm angebracht sind. Die Vasen sind von einem umlaufenden Band umfangen, auf dem sich in Ergänzung des jeweils sichtbaren Satzfragmentes der lateinische Spruch »IN VERBIS IN HERBIS ET LA PIDIBUS DEUS« findet. Seine Aussage, »In den Worten, den Kräutern und den Steinen ist Gott«, wird allgemein mit den Lehren des Arztes und Humanisten Paracelsus in Verbindung gebracht, ohne die Zeile in dessen Schriften nachweisen zu können. Der Satz umschreibt ein pantheistisches Weltbild und ist auch als Hinweis auf die Ausrichtung des pharmazeutischen Denkens und Handelns im 16. Jahrhundert zu verstehen, in dem man begann, mineralische Medikamente zu entwickeln. Die Blumen sind in diesem Zusammenhang in doppelter Hinsicht Heilsträger – pharmazeutisch als Heilpflanzen, theologisch als Träger der Heilsoffenbarung. Das hohe, schmale Format der beiden Tafeln könnte ein Hinweis darauf sein, dass sie ursprünglich für eine Wandvertäfelung oder eine Türfüllung in einer Apotheke oder Bibliothek angefertigt wurden.
Angelika Lorenz
Lorenz, Angelika (Hg.): Die Maler tom Ring [Ausst.-Kat. Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster 1996], Münster 1996.
Michalski, Sergiusz: Ein "gemalter Kabinettschrank" und die Blumenstilleben des Ludger tom Rings des Jüngeren, in: Westfalen 65, 1987, S. 130–133.
Wohl, Dietmar: Die rotbraunen Schwertlilien des Ludger tom Ring d. J. Bemerkungen zur Farbigkeit einiger Gemälde im Westfälischen Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster, in: Westfalen 63, 1985, S. 51–59.
Salinger, Margaretta: Early Flower Paintings, in: The Metropolitan Museum of Art Bulletin 8, 1950, S. 253–261.
Leihgabe des Westfälischen Kunstvereins
Maße
Höhe 63.8 cm Breite 26.6 cm
Material
Öl, Eichenholz Inventarnummer
83 WKV Standort
Raum 1.15