Hermann tom Ring Familienbild des Grafen Rietberg, 1564
Die Bildnisse der münsterschen Maler tom Ring zeigen den Menschen im Spannungsfeld von Individualität und Standesabhängigkeit. Dazu gehört Hermann tom Rings Gruppenbild der gräflichen Familie von Rietberg. Es zählt zu den ungewöhnlichsten und glanzvollsten deutschen Familienbildern des 16. Jahrhunderts. Die Tafel – die leider in späterer Zeit zerteilt wurde, um die qualitätvollen Porträts einzeln zu »vermarkten« und erst im 20. Jahrhundert wieder zusammengefügt wurde – zeigt in strenger Reihung die vier Familienmitglieder: Graf Johann II. von Rietberg, seine Frau Agnes und die beiden Töchter Ermengard und Walburg. Alle sind hinterfangen von einer fein konstruierten Wandvertäfelung. Deren halbrund geschlossene Wandfelder schließen die Komposition zusammen und billigen jedem Porträtierten einen eigenen, nur ihm zugehörigen Bildraum zu. Auf diese Weise wird die Individualität des Einzelnen, die sich in sehr subtil erfassten Zügen äußert, zusätzlich betont. Ungewöhnlich und äußerst kostbar ist die Ausstattung der beiden Töchter. Die sieben- und dreizehnjährigen Mädchen tragen aufwendigste, mit Goldbordüren versehene Kleider und sind mit Schmuck ausgestattet, der eher Fürstinnen als kleinen ostwestfälischen Gräfinnen zukommen würde. Der Schlüssel für diese Inszenierung liegt im Anlass des Auftrages begründet. Graf Johann von Rietberg war 1562 unter Verlust aller Ehren in Haft gestorben. Zwei Jahre später beauftragte die Gräfin Hermann tom Ring mit der Anfertigung der ungewöhnlich großen Tafel. Beabsichtigt war die demonstrative Rehabilitierung der Familie via Bildnis. Neben der selbstbewussten Inszenierung des Vaters mit eleganten Handschuhen und Todesverweis im Attribut des Stundenglases sind besonders die Töchter herausgestellt. Sie werden als Erbtöchter in bester materieller und durch das Buch auch geistiger Ausstattung präsentiert. Ein Hinweis auf ihre Rolle als zukünftige Heiratskandidatinnen ist die Nelke mit Rosmarinzweig, den die jüngere Tochter mit zierlicher Geste hält, ein Attribut, das sich häufig auf Verlöbnisbildern findet. Welchen Gegenstand die in schlichte Witwentracht gekleidete Mutter in Händen hielt, bleibt durch die Bildverstümmelung unklar. Das Vermächtnis der klugen und starken Frau ist das Familienbild und ihr in den Quellen belegter erfolgreicher Kampf für das Erbe der Töchter.
Angelika Lorenz
Pieper, Paul, / Pieper-Rapp-Frick, Eva (Hg.): Beiträge zur Kunstgeschichte Westfalens, Bd. 2, Münster 2000.
Lorenz, Angelika (Hg.): Die Maler tom Ring [Ausst.-Kat. Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Münster 1996], Münster 1996.
Leihgabe der Nordrhein-Westfalen-Stiftung Naturschutz, Heimat- und Kulturpflege (1941 LG)
Maße
Höhe 71.8 cm Breite 182.2 cm
Material
Öl, Eichenholz Inventarnummer
1022 LM, 1941 LG, 993 LM Standort
Raum 1.15 Kunstwerk des Monats
KdM_03_1992.pdf