Münster (Westfalen) Reliquienkreuz aus St. Martini in Münster, Kreuz um 1370/1380, Rückseite und Fuß 19. Jh.
Mit dem Reliquienkreuz aus der ehemaligen Stiftskirche St. Martini hat sich eine der schönsten und aufwendigsten gotischen Goldschmiedearbeiten Westfalens erhalten. Originaler Bestand der Zeit um 1370/80 sind die Vorderseite und der Kreuzfuß; die Rückseite mit der Kreuzigung, dem Pelikan und dem Gotteslamm als Christussymbole stammen aus dem 19. Jahrhundert. Die beiden Arme des Kreuzes schneiden sich so, dass der obere und die beiden seitlichen Kreuzbalken gleich lang sind. Die Schnittstelle bildet ein Quadrat, in dessen Mittelpunkt unter einem Bergkristall die Kreuzreliquie erscheint, umringt von vier betenden Engelsfigürchen. Der gesamte kostbare Schmuck des vergoldeten Silberkreuzes – Emails, Perlen, Edelsteine und Blattranken – bezieht sich auf dieses geheiligte Zentrum des Kreuzes. In den kreis- und rautenförmigen Emails wird die Leidensgeschichte Christi erzählt: Geburt, Anbetung der Könige, Christus vor Pilatus, Gefangennahme, Gebet am Ölberg, Kreuztragung und Kreuzigung. Am oberen Kreuzende thront der endzeitliche Weltenrichter, auf dessen Wiederkunft (Parusie) am Jüngsten Tag kostbare Schatzkreuze wie das Martinikreuz verweisen. Das Aufbewahren und Präsentieren von Reliquien des »Wahren Kreuzes« in solchen Behältnissen war seit dem 11. Jahrhundert üblich. Der Glanz des Goldes und die leuchtenden Farben der Emails und Edelsteine veranschaulichen dabei die den Gläubigen nach ihrer Auferstehung in Aussicht gestellte Pracht des Himmlischen Jerusalem. Am unteren Kreuzbalken ist die Mantelteilung des heiligen Martin, des Kirchenpatrons, dargestellt. Zu seinem Festtag am 11. November, sicherlich aber auch an anderen hohen Feiertagen, wurde das Reliquienkreuz auf dem Altar platziert oder in Prozessionen mitgeführt, wozu es aus dem Kreuzfuß herausgelöst werden konnte. Letzterer entstand mit großer Wahrscheinlichkeit in einer münsterischen Goldschmiedewerkstatt. Ob dies auch für die eleganten Passionsszenen der Emails gilt, ist umstritten. Sie weisen sowohl technisch als auch stilistisch einen deutlichen französischen Einfluss auf und könnten zum Beispiel aus Paris nach Münster gebracht worden sein.
Petra Marx
Petra Marx: Reliquienkreuz aus dem Stift St. Martini in Münster. In: Bistum Münster und Domkammer der Kathedralkirche St. Paulus, Münster [u. a.] (Hg.): Goldene Pracht. Mittelalterliche Schatzkunst in Westfalen [Ausst. Kat.]. München 2012, Kat. Nr. 89. Hans-Jürgen Lechtreck: Reliquienkreuz (Kapitelskreuz). In: Grote, Udo, u. Reinhard Karrenbrock (Hg.): Kirchenschätze. 1200 Jahre Bistum Münster (Bd. 2). Münster 2005, Kat. Nr. II.13. Rainer Brandl: Das Kreuzreliquiar des ehemaligen Kollegiatstiftes St. Martini in Münster. In: Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde (Bd. 68). Münster 1990, S. 1–30. Petra Marx: Reliquienkreuz aus St. Martini in Münster, um 1370/80 und 19. Jahrhundert (Rückseite), in: Einblicke – Ausblicke. Spitzenwerke im neuen LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster, hrsg. v. Hermann Arnold, im Auftrag des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, Wienand Verlag, Köln 2014, S. 68f.
Leihgabe der Katholischen Kirchengemeinde St. Martini, Münster
Maße
Höhe 75.5 cm Breite 46.5 cm Tiefe 25.5 cm
Material
Holzkern, Silber, Gold, Edelstein, Perlen, Glas, Email, Kupfer Inventarnummer
T-1005 LG Standort
Raum 1.03 Kunstwerk des Monats
KdM_04_1988.pdf