Franz Radziwill Einer von den Vielen des XXten Jahrhunderts, 1927
Bösartig und streng, mit angespannten Gesichtszügen und verbittertem Blick ist der alternde Mann auf Franz Radizwills Gemälde frontal dargstellt. Sein Scheitel ist penibel gezogen, der weiße Kragen liegt akkurat. Die grelle Beleuchtung von links lässt seine Erscheinung zusätzlich verhärten. Radziwill stellt in seinem Bildnis keine individuelle Person dar, sondern das typisierende Porträt des kleinkarierten Bürokraten, der „einer von Vielen des XXten Jahrhunderts“ ist, worauf der Künstler am oberen Bildrand hinweist. Nur der Anstecker mit dem Abzeichen eines Skatvereins deutet ein Leben des scheinbar seelenlos funktionierenden Mannes an, spiegelt allerdings gleichzeitig die Typisierung des Kleinbürgers wider.
In der blinden Ausführung von Anordnungen kann der Dargstellte Macht ausüben. Daher wundert es nicht, dass der dünne, spitze Bleistift, der von unten in die Darstellung ragt, wie eine tödliche Waffe wirkt, die über das Schicksal anderer Menschen entscheiden kann.
Die bedrohliche Wirkung und die vom Bild ausgehende unterschwellige Aggressivität können als Hinweis auf die gesellschaftliche Atmosphäre der späten 1920er Jahre gedeutet werden, die sich auf die Nazi-Diktatur hin entwickelt. Gleichzeitig blickt das Werk zurück und zeigt den Groll einer von der Weimarer Republik zutiefst enttäuschten Generation.
Mattheis, Lisa Felicitas (Hg.): Welt aus den Fugen. Scharl, Katz, Radizwill [Ausst.-Kat. Kunsthalle Emden, Emden 2021], Enden 2012, S. 32, Farbabb. S. 33, Abb. Nr. 11.
van Dyke, James A.: Franz Radziwil´s Vision of Joyful German Work: Painting, Social Identity, and Politics in the Weimar Republic, in: Oxford Art Journal, 28.3.2005, S. 295-319, Abb. S. 311, Abb. Nr. 6.
Franz, Erich (Hg.): Die Zeit der Betrachtung. Werke der Moderne bis 1945, Auswahlkatalog, 1999, S. 170, 172, Farbabb. S. 174.
Firmenich, Andrea: Franz Radziwill 1895–1983. Das größte Wunder ist die Wirklichkeit, Monografie und Werkverzeichnis, Emden 1995, S. 17-24, WV-Nr. 287.
Erworben mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen
- - bis mind. 1974 im Besitz des Künstlers - o.J.–1979 Galerie Kröner, Breisach - seit 1979 LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster, erworben von der Galerie Kröner, Breisach