Ernst Ludwig Kirchner Kaffeetafel (Vs), Auf Fehmarn (Rs), 1908 (Vs), 1913 (Rs)
Das Motiv dreier gutbürgerlicher Frauen, die um einen Kaffeetisch sitzen, ist eher ungewöhnlich für Kirchner. Am Nächsten steht diesem Bild vielleicht noch das Gemälde Wohnzimmer, Interior mit zwei Mädchen, das ebenfalls 1908 entstand und auf dem in der rechten Ecke derselbe gedeckte Tisch mit Kaffeekanne ins Auge fällt. Beide Bilder befanden sich, so geht aus dem Kirchner-Werkverzeichnis von Donald Gordon hervor, in der Sammlung Kurz. Die Kaffeetafel wurde 1963 vom Westfälischen Landesmuseum zusammen mit Werken von Otto Mueller und Ernst Wilhelm Nay aus dieser Privatsammlung erworben. Bei der Darstellung der Kaffeetafel handelt es sich um eine im Atelier entworfene Komposition, die deutlich Einflüsse der Fauves und van Dongens erkennen lässt. Die Farbwahl sowie der durch den Bildrahmen beschnittene Raum sind typisch für die französische Gruppe der sogenannten Wilden. Die oben und unten grün schattierte Augenform übernimmt Kirchner dagegen von van Dongen. Wie einige Bilder der Expressionisten, die sich in der Sammlung des Museums befinden, ist auch diese Leinwand von beiden Seiten bemalt, eine auf Sparsamkeit angelegte künstlerische Praxis. Interessant ist hierbei, dass das ältere Motiv – die Kaffeetafel von 1908 – heute als Hauptansicht geschätzt wird und nicht die jüngere Rückseite Auf Fehmarn. In der Regel ist es umgekehrt und das neuere Bild wird in der Hängung bevorzugt. Die Fehmarnbilder sind ein wichtiger Bestandteil von Kirchners Werk. Im Sommer 1908 besuchte er die Insel zum ersten Mal und kehrte zwischen 1912 und 1914 jedes Jahr für einige Wochen dorthin zurück. Seine Aufenthalte – intensive Phasen, in denen er unaufhaltsam arbeitete – kamen durch den Kriegsausbruch im August 1914 zu einem abrupten Ende. Für Kirchner war Fehmarn der Ort, an dem er lernte, die letzte Einheit zwischen Mensch und Natur zu gestalten, ein Thema, das ihn schon vorher in Moritzburg bei Dresden fasziniert hatte. Auf die Insel begleiteten ihn seine Lebensgefährtin Erna Schilling und zeitweise deren Schwester Gerda sowie Freunde. Im Sommer 1913 besuchten ihn dort auch Otto Mueller und dessen Frau Maschka, die trotz der beengten Verhältnisse mit in Kirchners Unterkunft bei dem Leuchtturmwärter in Staberkuk wohnten. Es ist nicht unwahrscheinlich, dass es sich bei der mit Hut und Pfeife wiedergegebenen Person im Vordergrund der Darstellung Auf Fehmarn um Mueller handelt.
Tanja Pirsig-Marshall
Felix Krämer (Hg.): Ernst Ludwig Kirchner. Eine Retrospektive [Ausst. Kat.]. Ostfildern 2010. Mayr, Gudula: 100 Jahre Künstlergruppe Brücke. Werke aus der eigenen Sammlung [Ausst. Kat.]. Münster 2005. Henkel, Katharine, u. Roland März (Hg.): Der Potsdamer Platz, Ernst Ludwig Kirchner und der Untergang Preußens [Ausst. Kat.]. Berlin 2001. Gordon, Donald E.: Ernst Ludwig Kirchner. Mit einem kritischen Katalog sämtlicher Gemälde, München 1968.
Erworben mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen
- - [...] - o. J.–1963 Herbert Kurz, Meerane/Wolframs-Eschenbach - 1951–1957 als Depositum von Herbert Kurz im Landesmuseum, Hannover - um 1960–1963 als Depositum von Herbert Kurz im LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster - seit 1963 LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster, erworben von Herbert Kurz, Wolframs-Eschenbach
Maße
Höhe 117 cm Breite 114 cm
Material
Öl, Leinwand Inventarnummer
1175 LM Standort
Raum 2.21- Sonderausstellung Kunstwerk des Monats
KdM_05_2000.pdf