Ida Gerhardi Chanteuse (Madame de Riau), 1903
Selbstzufrieden grient Madame de Riau in die Runde. Ihre physische Anwesenheit füllt die Leinwand derart aus, dass ihrer Person etwas Feistes anhaftet. Vielleicht spiegelt sie gerade dadurch das satte Leben der Pariser Bohème um die Jahrhundertwende so gut wider. Sie selbst war als Chanteuse, als kabarettistische Sängerin, ein Teil der Subkultur an der Seine. Ihre Visitenkarte wies sie dabei seriös als »Madame Witwe C. Baronesse de Riau, Journalistin, Komponistin von Gedichten und Musik, 1. Preis des Konservatoriums …« aus. Ida Gerhardi schreibt in einem Brief am 2. Januar 1904 an ihren Bruder Karl August über das Gemälde: »[…] Baronin de Riau, die neulich als ich […] im Cabaret Quat-z-arts war, neben mir saß, […] interessierte mich so, daß ich sie bat, mir sitzen zu wollen, das versprach und tat sie, und jetzt handelt es sich darum, ob sie oder ich das Bild bekommt – es ist nämlich ein solches ›document de talent‹, wie ich noch keins geliefert, und sie ist arm und will es für 50 fr. haben, aber dieses Bild könnte mir einmal bei einem Museum eine Menge einbringen, deshalb will ich ihr lieber schnell noch eins malen, aber die Alte ist klug und hat leider eine Kritik eines Malers gehört, der hinter mir stand, als ich arbeitete, und von ›superbe‹ sprach.« Von der Umgebung ist allein die Wand zu erahnen. Doch aus schriftlichen Quellen wissen wir, dass die Künstlerin das Porträt direkt in dem Tanzlokal malte, während die beiden Frauen dem Gesang Jacques Fernys lauschten. Ida Gerhardi erfasste die Züge der Baronin sicher mit groben Pinselstrichen; schon seit Längerem waren ihre Porträts voller Atmosphäre. So spiegelt sich in der Farbpalette von blau-violetter Kleidung und beige-grünem Inkarnat der fahle Schein des elektrischen Lichts im Halbdunkel des Nachtclubs. Zwischen 1903 und 1905 entstanden mehrere Szenen aus dem Vergnügungsviertel Montmartre. Ida Gerhardi war 1891 wie Käthe Kollwitz und Paula Modersohn-Becker nach Paris gegangen, um dort Kunst zu studieren. An der angesehenen Académie Colarossi begeisterten sie sich für das Aktzeichnen und die »Croquis«-Kurse, bei denen das Modell schnell die Position wechselte. Der Ort Paris war ihr so wichtig, dass sie ihn in der Signatur in dem Gemälde festhielt. Aus deutsch-patriotischen Kreisen wurden sie und ihre Malerei jedoch aufgrund ihrer Nähe zu Frankreich angegiftet.
Inge Fisch
Conzen, Susanne (Hg.): Ida Gerhardi – Deutsche Künstlerinnen in Paris um 1900 [Ausst. Kat.]. München 2012. LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster (Hg.): Wozu die ganze Welt, wenn ich nicht malte: Ida Gerhardi (1862–1927). Briefe einer Malerin zwischen Paris und Berlin. Münster 2012. Westfälisches Landesmuseum (Hg.): Ida Gerhardi 1862/1962. [Ausst. Kat.]. Münster 1962.
- - bis 1927 Ida Gerhardi - 1927–1969 Nachlass der Künstlerin/Malve Steinweg, Lüdenscheid, erworben durch Erbgang - seit 1969 LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster, erworben von Malve Steinweg, Lüdenscheid
Maße
Höhe 65 cm Breite 54 cm
Material
Öl, Leinwand Inventarnummer
1308 LM Standort
Raum 1.32 Kunstwerk des Monats
KdM_12_1991.pdf