Lucio Fontana Concetto Spaziale, 1959
Der in Argentinien geborene und in Italien aufgewachsene Lucio Fontana wird bis heute am stärksten mit seiner Serie der Tagli identifiziert. Ab 1958 entstanden die berühmten Bilder mit den Schnitten in der Leinwand. Zuerst setzte Fontana diese spontan in die bemalte Leinwandfläche, später wurden daraus bewusste Kompositionen. Dabei führte er die Schnitte sowohl von vorn als auch von hinten aus, sodass sich die Ränder der Öffnung mal nach außen stülpen oder nach innen senken. In diesen Schnittbildern drückt sich die Ablehnung des traditionellen Gemäldes aus. Die zeitgenössischen Kunstbewegungen arbeiteten vor allem daran, die Form des traditionellen Gemäldes über den Raum der bemalten Leinwand hinweg in den realen Raum des Betrachters zu erweitern, um Kunst und Leben einander wieder näher zu bringen. Bereits seit 1946 hatte Fontana mit dem Manifiesto Blanco (Weißes Manifest) eine Verbindung von Malerei, Bildhauerei, Musik und Dichtung gefordert. Ein Jahr später gab er das Manifest der Movimento Spaziale (Raumbewegung) heraus. Das Kunstwerk aus erstarrten Farben und Formen sollte in Bewegung versetzt werden, um mit der Entwicklung des neuen, von Aktion und Technik geprägten Menschen mithalten zu können. In einer ersten Werkreihe, den Buchi (Löcher), bemalte Fontana Leinwände monochrom und perforierte sie anschließend. Die Bilder waren rahmenlos, sodass ihnen die Abgrenzung zum umliegenden Raum fehlte. Durch die Löcher in der Leinwand entstand eine völlig neue Oberflächenstruktur, die das traditionell flache Bild in einen eigenen dreidimensionalen Körper verwandelte. Licht drang von hinten durch die Leinwand und verband so den Raum mit dem Bildobjekt. Gedanklich betrachtete Fontana den Raum, in dem seine Bilder hingen, als Teil seiner Kunst. Sein Ziel war es, »zwischen dem Raum des Betrachters und dem des Bildes ein Kontinuum zu schaffen« (zit. nach: Hess, 2006, S. 7). Daher bezeichnete Fontana seine Arbeiten fortan als Concetto spaziale (Raumkonzept). Diesen Ansatz entwickelte er später zu raumgreifenden Installationen weiter, die er unter den Begriff Ambiente Spaziale fasste.
Melanie Bono
Crispolti, Enrico: Lucio Fontana. Catalogue raisonné des peintures, sculptures et environements spatiaux. Bd. 2. Brüssel 1974.
Adriani, Götz / Kunsthalle Tübingen (Hg.): Sammlung Cremer. Europäische Avantgarde 1950 bis 1970. Stuttgart 1973.
Gercke, Hans / Heidelberger Kunstverein (Hg.): Sammlung Cremer. Kunst der sechziger Jahre. Heidelberg 1971.
© Lucio Fontana by SIAE / VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Stiftung Sammlung Cremer
Stiftung Sammlung Cremer
Maße
Höhe 67 cm Breite 75 cm
Material
Kunstharz, Leinwand Inventarnummer
1943 LM Standort
Nicht ausgestellt