Max Ernst Un cristal, sa veuve et son enfant (Ein Kristall, seine Witwe und sein Kind), 1961
Spitze, eckige Formen beherrschen das Gemälde „Ein Kristall, seine Witwe und sein Kind“ von Max Ernst. Die geometrischen Muster scheinen in Bewegung versetzt zu einem pulsierenden Ganzen komponiert, welches sich spiralförmig gedreht zusammenfügt. Eine alles dominierende Farbe ist das durchscheinende, kräftige Blau, das die umliegenden Farben beeinflusst. Durch die spezielle Maltechnik scheinen sie zu vibrieren. So legte er Schnüre unter die Leinwand, welche sich beim Malvorgang durchdrückten. Links, fast im Zentrum der Drehbewegung kann man den Durchdruck eines Spitzendeckchens erkennen. Durch ausgesparte Flächen, wie kleine Ovalformen, erzeugt er Phänomene, die Lichtreflexen ähneln. Dies unterstreicht den Eindruck eines lichtdurchfluteten Kristalls.
Max Ernst wurde, ebenso wie August Macke, von zeitgenössischen Forschungen der Psychologie inspiriert. Interessant waren für die Künstler vor allem Experimente von Max Wertheimer mit parallelen senkrechten Linien. Ausschlaggebend ist hier eine Aktivierung der Augenbewegung: der Blick wandert rhythmisch über das Bild. Die Betrachtenden sehen nichts Dinghaftes, die Formen finden immer wieder neue Gruppierungen. Ernsts Werke strahlen oft keine erkennbare Ordnung aus, sondern eher eine Splitterung, die auch Aspekte des italienischen Futurismus aufweisen. In seinem Spätwerkt, zu dem auch „Ein Kristall, seine Witwe und sein Kind“, gehört, wirken diese eher ruhig. Nicht nur das Gemälde lässt durch seine formale Offenheit Interpretationsspielraum, sondern auch der Titel öffnet Assoziationen, die nicht vollends entschlüsselt werden können und somit eine dauerhafte Spannung bieten.
Franz, Erich: Max Ernst: Ein Kristall. Seine Witwe und sein Kind, 1960/61 (Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte, Landschaftsverband Westfalen-Lippe. Das Kunstwerk des Monats, Oktober 2009), Münster 2009.
Ernst, Max: Rheinische Erinnerungen, in: L'oeil, Nr. 16, April 1956, zitiert nach der deutschen Übersetzung in: Max Ernst. Illustrierte Bücher und druckgraphische Werke. Die Sammlung Hans Bolliger – eine Neuerwerbung. Bestandskatalog Kunstmuseum Bonn 1989, S. 76-78.
Trier, Eduard: „Was Max Ernst studiert hat", in: Wulf Herzogenrath (Hg.): Max Ernst in Köln. Die rheinische Kunstszene bis 1922 [Ausst-Kat. Kölnischer Kunstverein 1980], Köln 1980, S. 63-68.
Spies, Werner: Die Rückkehr der schönen Gärtnerin. Max Ernst 1950-1970, Köln 1971.
Spies, Werner: Max Ernst. Collagen. Inventar und Widerspruch, Köln 1971.
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