Hervé Youmbi Les masques célèstes (Himmlische Masken), 2017
Hervé Youmbi reflektiert in verschiedensten Medien die (post-)koloniale Situation des afrikanischen Kontinents. Mit Objekten und einer ikonografisch hybriden Formsprache, gespeist aus westlicher Popkultur sowie der vorkolonialen und kolonialen Kunstproduktion in West- und Zentralafrika, widerspricht er der Idee von einer singulären kulturellen Identität. Youmbis Installation befand sich während der Skulptur Projekte 2017 auf dem stillgelegten Überwasserfriedhof. In unmittelbarer Nähe zum Grab des Generals Ludwig Roth von Schreckenstein waren in circa zehn Metern Höhe vier Masken angebracht. Vier weitere kleinere Masken hingen direkt in den Bäumen. Les masques célèstes zitieren Elemente der westlich-kapitalistischen Popkultur – klar erkennbar ist die Referenz zur Maske aus dem US-amerikanischen Horrorfilm Scream (1996), deren Gestaltung wiederum durch Edvard Munchs Gemälde Der Schrei (1893) inspiriert wurde. Neben diesem ikonischen Motiv für Angst und Schrecken stehen animistische Zeichen verschiedener afrikanischer Kulturen. Sie fungieren laut Youmbi als Einladung an die Geister der Toten, während feierlicher Zeremonien in die Masken zu fahren und sie zu besetzen. Youmbis Objekte wurden in Maskenwerkstätten in Kamerun gefertigt. Seine Intervention an einem Ort christlicher Begräbniskultur und Totenerinnerung wirft Fragen nach Religiosität, Spiritualität und Aberglaube auf. Seine Arbeit beleuchtet die Objekte und Plätze anhand derer wir Verbindungen zwischen Diesseits und Jenseits herstellen und reflektiert anhand welcher Parameter diese kulturellen Praktiken als gültig, wirkmächtig oder authentisch erachtet werden. Die westliche Moderne und die Masken des afrikanischen Kontinents verbindet eine lange wie problematische Geschichte. Masken wurden seit jeher aus dem rituellen Gebrauchskontext herausgelöst, als rein formale, ästhetische Inspirationsquellen gedeutet und als Trophäen an die Wand gehängt. Das Interesse und die kommerzielle Nachfrage des Westens löste einen Produktionsboom von Masken aus, der bis heute Gutachter_innen in Auktionshäusern beschäftigt. Diese Geschichte steht unter den Vorzeichen von Mystifizierung, Fetischisierung und thematisiert die rituelle Authentizität. Bekannt ist auch, dass viele der Objekte, die außerhalb des afrikanischen Kontinents als genuin afrikanisch verstanden werden, in Wirklichkeit koloniale und kulturelle Hybride sind. Auch in diesen Masken finden sich Perlen, die in Italien produziert wurden und seit Jahrhunderten in den rituellen Objekten Kameruns verarbeitet werden. Youmbi verdeutlicht durch den ortsspezifischen Zusammenhang des Grabmals Von Schreckenstein eine besondere Dringlichkeit: von Schreckenstein ist als Gisant, als just entschlafene Liegefigur mit geschlossenen Augen dargestellt. Über der Plastik schwebten die himmlischen Masken, in denen sich auch die Darstellung eines Vogels findet, der eine Eidechse auf dem Rücken trägt. Beide Tiere fungieren als Boten zwischen Diesseits und Jenseits. Youmbi verbindet einen europäischen, christlichen Totenkult mit einer einer Serie von (pseudo-) animistischen Hybridobjekten, und fragt unter welchen Bedingungen uns ein Glaubenssystem als authentisch erscheint. Die Installation ist nach Ende der Skulptur Projekte in die Sammlung des LWL-Museums für Kunst und Kultur aufgenommen worden und hat somi einen neuen Kontext bekommen. Im Hinblick auf die öffentliche Sammlung draußen und die bisherigen Ankäufe aus den Skulptur Projekten bereichert diese Arbeit die Diskussion um das Verhältnis von Außen und Innenraum.
Nico Anklam
Ausst. Kat. Skulptur Projekte Münster 2017, hrsg. von Kasper König, Britta Peters, Marianne Wagner, Leipzig 2017.
© Hervé Youmbi, courtesy Axis Gallery, NY
© Hervé Youmbi, courtesy Axis Gallery, NY
Skulptur-Projekte 2017
© Hervé Youmbi, courtesy Axis Gallery, NY
Skulptur-Projekte 2017