Jorinde Voigt Symphonie Studie Var. I, 2009
Bereits 2003, noch während ihres Kunststudiums in Berlin, verglich Jorinde Voigt ihre Kunst mit musikalischer Notation: „Vom Prinzip ähnlich zur Notation einer Komposition in der Musik, werden visuelle und akustische Elemente rhythmisch angeordnet, zusätzlich mit Längen- und Breitengrad-Angaben geografisch festgestellt und in Bezug gesetzt zu Dauer und Geschwindigkeit.“ In der Zeichnung „BEAT Var. XIV (Mexico Series)“ treffen drei Linienbündel aufeinander. Eine aufsteigende und sich abflachende Kurve schwingt sich über das Blatt. Durchquert wird sie von einem Fächer aus geraden Linien. Links unten beginnt eine horizontale Bahn aus Parallelen. Rote kurze Striche akzentuieren das Kurvenbündel und markieren den Beginn der Parallelen. Wo diese beiden Bündel sich treffen, entsteht ein unruhiger Wirbel. Geht man näher heran, erkennt man, dass die Linien des einen Bündels sich mit dem anderen verbinden. Man entziffert Wörter, die sich wiederholen: beim Fächer „Elektrizität“, beim Beginn der Parallelen „Melodie“. Beim Linienwirbel begleiten rot geschriebene Wörter zusätzliche rote Kurven: „Loop / Sequenz 1 min.“, „Loop / Sequenz 2 min.“ usw. Ganz aus der Nähe verfolgt man Zahlenreihen entlang der Linien, die sich auch von einer Linie zur nächsten wiederholen. Die roten Akzente markieren bestimmte Zahlen, im Kurven-Bündel immer die „1“. Dazwischen sitzen auf der untersten Linie eine „2“, auf der nächsten „2 3“ usw. Der Blick folgt verschiedenen Rhythmen, die sich frei ausbreiten. Zugleich entwickeln sich alle Kurvenspannungen und Abstände äußerst präzise. Die dünnen Linien, schnell geschriebenen Wörter und kleinen Zahlen erfordern ein sehr genaues Hinsehen. Man kann nur wenige Abschnitte mit den Augen verfolgen, immer wieder ändert man seine Orientierung, ein Ganzes wird nie fassbar. Jorinde Voigts Zeichnungen vereinen objektives Registrieren mit subjektiver Kreation. Astrit Schmidt-Burkhardt schreibt dazu: „Es ist, als ob die Künstlerin die Welt nur verstehen kann, indem sie wahrnimmt, reflektiert, zeichnet und weiterzeichnet. Indem sie ihre Beobachtungen zu Papier bringt, gibt sie Selbstauskunft. Ob im Ansatz analytisch-nüchtern oder im Gestus kontrolliert-impulsiv, Voigts Wahrnehmungskunst ist so konsequent wie persönlich.“
Erich Franz
Astrit Schmidt-Burkhardt: "Vom Strich zum Begriff und zurück. Jorinde Voigt unterwegs auf tausend Ebenen" / "From the Line to the Word and Back: Jorinde Voigt on the Move on a Thousand Levels," in: Julia Klüser / Hans-Peter Wipplinger (Hrsg.): Now. Jorinde Voigt, Krems 2015, S. 10–17. David Nolan (Hrsg): Jorinde Voigt – Piece for Words and Views, Ostfildern 2012. Julia Klüser: Jorinde Voigt – Nexus [Ausst. Kat.], Von der Heydt Museum Wuppertal, Ostfildern 2011.
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Stiftung "Sammlung 'Die Linie'"
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