Michael Smith Not Quite Under_Ground, 2017
Michael Smiths künstlerische Praxis umfasst Performances, Videos und Installationen, die häufig mit der Adaption populärkultureller Medienformate operieren. Seit den 1970er Jahren bevölkern die Charaktere Mike und Baby Ikki seinen multimedialen, von Tragikomik durchzogenen künstlerischen Kosmos. In jüngerer Zeit diente Smith vor allem der naive Durchschnittsamerikaner „Mike“ als Alter Ego für die Auseinandersetzung mit Themen wie Alter, Jugendkult, Trends und Rollenbildern. Mit der Installation eines Tattoostudios in Münster, in dem Personen ab 65 Jahren Sonderkonditionen erhielten, verschränkte Michael Smith diesen Themenstrang mit Aspekten des Städte- und Kulturtourismus. Während der Skulptur Projekte 2017 konnten Besucher*innen Motive aus einem Bilderpool auswählen, zu dem aktuelle und ehemalige Teilnehmer*innen der Ausstellung ebenso wie befreundete Künstler*innen und die Tätowierer*innen Zeichnungen beigesteuert haben. Die Bandbreite reicht von miniaturisierten Visualisierungen von Ausstellungsbeiträgen bis zu autonomen Entwürfen. Ein vom Künstler produzierter Trailer warb an touristischen Infopoints und bei Stadtrundfahrten im Bus für die Tattoos. Smiths Projekt resultierte aus einer Verknüpfung lokaler und allgemeiner Alltagsbeobachtungen. Mit Interesse registrierte er sowohl die große Zahl an kulturaffinen Senior*innen, denen Münster als Ausflugsziel dient, als auch – unabhängig davon – die gesellschaftliche Akzeptanz, die Tätowierungen als Form symbolischer Körperkommunikation seit den 1990er Jahren erfahren haben. Lange mit Vorurteilen behaftet, sind sie als Lifestylephänomen und Selbstinszenierung, die ihr provokatives Potenzial weitgehend verloren hat, vor allem in einer jüngeren Generation stark präsent. Als schmerzhafte Umgestaltungen jener Membran, die Äußeres und Inneres trennt, fungieren Tattoos nicht nur als Körperschmuck, ihnen kommt als individuell gewählter Ausdruck auch identitätsstiftende Funktion zu. Smiths Arbeit knüpfte an dieses dem Medium inhärente Transformationsmoment an und propagierte, nicht ohne Augenzwinkern, eine Verjüngung mittels Anpassung an das jugendlichere Erscheinungsbild. Zudem nahm sie Bezug auf die Geschichte und das Format der Skulptur Projekte. Im Gegensatz zum temporären Charakter der Ausstellung zeugen die tätowierten Souvenirs von einer Kunsterfahrung, die sich im Speichermedium der Haut über das Ausstellungsende hinaus physisch einprägt. Die Zusammenarbeit mit Künstler*innen und Tätowierer*innen löste nicht nur die singuläre künstlerische Geste zugunsten einer kollektiven Autorschaft auf, sondern verschliff auch die Grenzen von Ausstellungskunst und populärkulturellen Bildmedien. Der mehrdeutige Titel spielte dabei sowohl auf die Tatsache an, dass Tätowierungen längst im Mainstream angekommen sind, als auch auf die gewachsene Popularität der Münsteraner Ausstellung. Zudem lässt er sich in abgründiger Weise auf das fortgeschrittene Lebensalter der Zielgruppe beziehen, das auch Smiths eigenem entspricht. Das Werk ist während der Skulptur Projekte auch Teil der Stadt Münster und ihrer Bewohner geworden. Die Sammlung an Tattoo-Zeichnungen fungiert wie ein Archiv der Ausstellung selbst und wuchs durch die Tätowierten auch auf eine „menschliche Sammlung“ an: Die Tatowierten tragen die Arbeit nun auf ihren Körpern und somit in die Stadt und die Welt hinein. Nach Ende der Skulptrur Projekte ist die Arbeit in die Sammlung des LWL-Museums aufgenommen und an den neuen Präsentationszusammenhang angepasst worden.
Andreas Prinzing
Ausst. Kat. Skulptur Projekte Münster 2017, hrsg. von Kasper König, Britta Peters, Marianne Wagner, Leipzig 2017.
© Courtesy Dan Gunn Gallery
© Courtesy Dan Gunn Gallery
Skulptur-Projekte 2017
© Courtesy Dan Gunn Gallery
Skulptur-Projekte 2017