Dieter Roth P.O.TH.A.A.VFB (Portrait Of The Artist As Vogelfutter-Büste), 1969
Der 1930 in Hannover geborene Schweizer Künstler hat sich mit seinen Arbeiten stets den konventionellen Vorstellungen seiner Zeit entzogen. Er war Dichter konkreter Poesie, Grafiker, Aktions- und Objektkünstler. Seit 1964 verwendete Roth regelmäßig Lebensmittel und wird wie kein anderer Künstler vor allem mit dem Werkstoff Schokolade in Zusammenhang gebracht. Zunächst entstanden erste Siebdrucke aus Schokolade, die später zu »Quetschungen« in der Druckerpresse weiterentwickelt wurden. Geschmolzene Schokolade kam in den »Materialbildern« zum Einsatz. Die Vogelfutterbüste, eines von Roths bekanntesten Werken, ist ebenfalls aus Schokolade gegossen. Roth arbeitete meist in Auflagenserien, sodass es die Büste in mehreren Ausführungen gibt. Das Selbstporträt schuf er als Reaktion auf den Roman Portrait of the artist as a young man von James Joyce. Dem süßlichen Kitsch, den Roth mit dem Buch verband, hat er mit der Schokolade konkrete Form verliehen. Er selbst porträtierte sich als alter Mann, am Sockel brachte er ein blaues Prägeetikett an, das mit weißer Schrift die Abkürzung P.O.TH.A.A.VFB für »Portrait Of The Artist As Vogelfutterbüste« trägt. Porträtbüsten haben in der Regel eine sehr klare Funktion: An den Dargestellten soll man sich in charakteristischer Form noch lange erinnern können. Bevorzugte Materialien sind Marmor oder Bronze, die beide Dauerhaftigkeit ausstrahlen. Roth widersetzt sich mit seiner Büste dem Wunsch der Überhöhung der eigenen Person, und auch dem Pathos des Ewigen und Repräsentativen. Durch das Material ist seine Büste weder dauerhaft noch charakteristisch. Das im Titel genannte Vogelfutter verweist auf den Kontext, in dem sich Roth die Büste vorgestellt hatte. Ab 1970 wurde die Büste tatsächlich draußen aufgestellt, als Teil seiner Gartenskulptur (1968–1996). Ist sie allein schon durch das Material dem Verfall ausgesetzt, sollte sie im Garten tatsächlich von Vögeln langsam verzehrt werden. Der Prozess des Verfalls ist eines der wichtigsten künstlerischen Mittel in Roths Werk. Der Zufall, der in diesem Prozess angelegt ist, stellt sich vermeintlich endgültigen, verbindlichen Gewissheiten entgegen. Er lässt Raum für Unbestimmtheit und Kreativität.
Melanie Bono
Meyer-Krahmer, Benjamin: Dieter Roth. Selbstbeobachtung als künstlerischer Schaffensprozess, München 2007.
Mayr, Gudula: Diether Roth. P.O.TH.A.A.VFB (Portrait of the Artist as Vogelfutterbüste), 1969 (LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster. Das Kunstwerk des Monats, März 2006), Münster 2006.
Dobke, Dirk: Dieter Roth 1960–1975 (Melancholischer Nippes ergänzt und kommentiert von Dieter Roth, Bd. 1, Werkverzeichnis der frühen Objekte und Materialbilder 1960–1975 ergänzt und kommentiert von Dieter Roth, Bd. 2), Köln 2002.
© Dieter Roth Estate, Courtesy Hauser & Wirth
Stiftung Sammlung Cremer
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