Ludger tom Ring, der Ältere Die Samische Sibylle aus der Folge von Sibyllen und Propheten, um 1538
Die Bildfolge gehört zu den wenigen Werken, die sich von dem münsterschen Maler Ludger tom Ring d. Ä. erhalten haben – sein Hauptwerk ist beim Bildersturm der Täufer vernichtet worden. Der Zyklus von ursprünglich 15 Sibyllen und Propheten zählt zu den bedeutenden Aufträgen tom Rings und steht im Zusammenhang mit dem Wiederaufbau und der Neuausstattung der von den Täufern zerstörten Kirchen in Münster. Er war an den Wandfeldern des Chorumgangs des St. Paulus Domes angebracht. Heute finden sich dort noch steinerne Wandnischen, in denen man sich jeweils einen der Weisen des Altertums, flankiert von zwei Sibyllen, vorzustellen hat. Dieses heidnische Element nahe dem Altarraum einer Bischofskirche mag befremden, erklärt sich aber durch die Überlieferung, nach der die Seherinnen und Seher bereits in der Antike die Ankunft Christi vorausgesagt hatten. Diese Weissagungen befinden sich in Stein gemeißelt auf den gemalten Brüstungen der einzelnen Tafeln. Das Bildthema ist in der spätmittelalterlichen Kunst häufig anzutreffen und wurde unter anderem durch grafische Vorlagen – wie die des »Meisters mit den Bandrollen« (um 1465) verbreitet. In lebensvoller, meisterhafter Plastizität hat der Bildhauer Jörg Syrlin die heidnischen Propheten und Sibyllen im Chorgestühl des Ulmer Münsters dargestellt (1469–1475). Ludger tom Rings Bildfindungen sind in der Tradition der westfälischen Tafelmalerei der Gotik verankert und zeigen die weiblichen und männlichen Wahrsager in orientalischer Gewandung, um das Fremdländische ihrer Kultur zu betonen, und auch in bürgerlicher, zeitgenössischer Tracht, um das Thema für den Betrachter zu aktualisieren. Eine imposante Gestalt ist der Dichter Vergil, dessen Werk nach Ansicht der Zeit ebenfalls Christusprophezeiungen enthielt (Inv. Nr. 1173 FG). Vor einem aufgeschlagenen Buch, in ausholender Geste die Nietbrille vor Augen haltend, ist er als Gelehrter und »Sehender« dargestellt. Mit realitätsnahen Naturdetails und Gegenständen des häuslichen Lebens im Hintergrund der Tafeln zeigt sich der Einfluss des Wirklichkeitssinns der frühniederländischen Malerei Robert Campins. Dessen Werke könnte der münstersche Maler während seiner Lehr- und Wanderjahre gesehen haben.
Angelika Lorenz
Stumpfe, Wolfger: Münsterische Sibyllen als Überlebende des Bildersturms, in: Westfalen 87. Münster 2009. S. 225–249.
Lorenz, Angelika: Ludger tom Ring d. Ä., Folge von Sibyllen und Propheten (Westfälisches Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte Münster. Das Kunstwerk des Monats, Mai 1997), Münster 1997.
Lorenz, Angelika (Hg.): Die Maler tom Ring [Ausst.-Kat. und Werkverzeichnis, 2 Bde.], Münster 1996.
- 1927 erworben im Kunsthandel J. Rosenbaum, Frankfurt