Johanna Reich flags, 2011
Das 26-minütige Video „Flags“ von Johanna Reich aus dem Jahr 2011 zeigt eine Performance der Künstlerin, in welcher mehrere Kunstformen wie Film und Malerei miteinander verbunden werden. Die Künstlerin ist in dem Video zu sehen, wie sie großflächig mit Farbe Nationalflaggen an eine weiße Wand malt. Die Flaggen werden von Szene zu Szene passend zu ihrer Kleidung übermalt. Zu den Füßen der Künstlerin befindet sich ein flackernder Röhrenfernseher, den sie in der jeweiligen Farbe mit anmalt. Außerdem dient der Fernseher der Künstlerin während ihres Schaffensprozesses als Sockel. Die sich szenisch ereignende Rotation der Kamera verändert Quer- zu Längsstreifen, wodurch die Darstellung unterschiedlicher Nationalflaggen möglich ist. Die Präsentation der deutschen Nationalflagge zu Beginn des Videos wirkt zunächst irritierend: Bisweilen ruft die Deutschlandflagge Unwohlsein hervor. Johanna Reich hat dieses Moment des Unwohlseins als Teil einer Nationalidentität eingefangen und konfrontiert die Betrachtenden damit. Die Idee zu „Flags“ entstand während der Fußball WM 2006, als die Künstlerin eine vermehrte Präsenz der Deutschlandflagge wahrnahm, was eine Mischung aus befreienden und beängstigenden Gefühlen in ihr auslöste. Diese Gefühle setzte sie bereits 2009 in dem Werk „Monument“ um, an welches sie mit „Flags“ drei Jahre später anknüpfte. Bei der Darstellung der Flaggen bleibt während des Malprozesses der Künstlerin jeweils eine Farbe stehen. Mithilfe der Kamerarotation, sowie durch das Hinzufügen und Überstreichen von Farben verwandelt sich eine Nationalflagge in eine jeweils andere. Damit spielt Reich auf die Idee von verschmelzenden Grenzen an, die bedingt durch das Fortschreiten der Globalisierung einzelne Staaten dazu bringt, nationaler oder supranationaler zu agieren. Wie aus einem Gespräch im April 2020 mit der Künstlerin hervorging, betrachtet Johanna Reich digitale Medien als Antriebskraft der Globalisierung. Diese bilden den Sockel einer globalen Gesellschaft, im Werk bildlich dargestellt durch den Röhrenfernseher. Während des Entstehungszeitraums der Arbeit galt der Fernseher als Hauptdistributionsmittel für globale Ereignisse. Dadurch wurde das Ereignis, in diesem Fall die Fußballweltmeisterschaft, grenzüberschreitend für alle Haushalte Teil der nationalen Identität. Diese Funktion erfüllt heute das digitale Fernsehen, verbreitet durch das Internet. Die Schöpferin stellt in „Flags“ das Analoge dem Digitalen gegenüber, in einer Welt, in der beides immer weiter miteinander verschmilzt. Dabei könnte das Werk die Assoziation wecken, die Künstlerin verkörpere die globale Gesellschaft, welche gestützt durch digitale Medien immer näher zusammenrückt. Besonderen Stellenwert hat dabei ihrer Meinung nach, das Internet als Alternative zum Fernsehen, welches zunehmend alle Lebensbereiche durchdringt und alle Medien- und Kunstformen in sich aufnimmt.
Lynn Kraft
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024
© VG Bild-Kunst, Bonn 2023
Leihgabe aus der Kunstsammlung der Provinzial Versicherung AG, Direktion Münster
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