Das weinende Mädchen, 1909
»Wir wollen etwas anders als die bloss [sic] Kopie der Natur […] Eine Kunst, die uns packt und uns bewegt […] lebendige Menschen sollen es sein, atmende und fühlende, leidende und liebende«, so äußerte sich Edvard Munch über seine Malerei. Immer wieder fand er seine Themen im Alltag, beobachtete das Geschehen um sich herum und hielt es in seinen Bildern fest. Der Gesichtsausdruck seiner Modelle, ihre Körperhaltung und die Stimmung der Komposition standen für ihn im Mittelpunkt seiner Arbeit. Fasziniert von Not und Gewalt, zeigen viele seiner Bilder Krankheit, Verfall oder Tod. Seine Themen setzte Munch regelmäßig in verschiedenen Varianten um, darunter auch das Motiv des Weinenden Mädchens, zu dem er eine Werkserie mit nur kleinen farblichen oder kompositorischen Abwandlungen geschaffen hat. »Das Weib muss weinen«, so formulierte Munch. Auf Gemälden, als Fotografie, Skulptur und Papierarbeit dokumentiert sich diese Obsession des Künstlers. Insgesamt existieren fünf Leinwandbilder vom Weinenden Mädchen. Die Darstellung im Landesmuseum kaufte der schwedische Sammler Klas Fåhræus direkt vom Künstler. Er schrieb im April 1912 an Munch: »Das weinende Mädchen sieht besonders gut im elektrischen Abendlicht aus, wunderschön wie eine friesische Venus gemalt von einem nordischen Tizian.« Als motivische Vorlage diente Munch eine Fotografie von Rosa Meissner, die zusammen mit ihrer Schwester dem Künstler Modell saß. Auf dieser Abbildung steht sie nackt vor einem Bett, das in vielen von Munchs Sterbeszenen wiedergegeben ist. Die gemusterte Tapete ist auf dem Foto und dem Gemälde deutlich zu erkennen. Allerdings fehlen bei dem Bild in Münster die in den anderen Versionen rechts an der Wand hängenden Kleidungsstücke. In allen malerischen Darstellungen ist der Kopf des Mädchens rot und mit breiten Pinselstrichen wiedergegeben, sodass in einigen Versionen zwar das zum Knoten hochgesteckte Haar sichtbar ist, in keiner Ausführung aber individuelle Gesichtszüge zu erkennen sind. Munchs Werke beeinflussten zahlreiche Künstlerinnen und Künstler der nachfolgenden Generationen. Nicht nur Elizabeth Peytons Tony Rum Island erinnert in seiner Darstellung an Das weinende Mädchen, auch Georg Baselitz, Nan Goldin, Antony Gormley, Louise Bourgeois, Sam Taylor-Wood, Peter Doig, Martin Kippenberger und Tracey Emin, um nur einige zu nennen, beziehen sich in ihren Arbeiten auf den Norweger.
Tanja Pirsig-Marshall
Lampe, Angela (Hg.): Edvard Munch. Der Moderne Blick [Ausst. Kat.]. Ostfildern 2012. Woll, Gerd: Edvard Munch. Complete Paintings. Catalogue Raisonné. New York [u. a.] 2009. Schröder, Klaus Albrecht (Hg.): Edvard Munch. Thema und Variation [Ausst. Kat.]. Ostfildern 2003.
Erworben mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen
- - 1912–wohl 1951 Klas Fåhræus, Stockholm, erworben vom Künstler - (1951 Frankfurter Kunstkabinett, wohl erworben von Klas Fåhræus, Stockholm) - wohl 1951–1964 E.A. Voretzsch, Colmberg, wohl erworben im Frankfurter Kunstkabinett - seit 1964 LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster, erworben von E.A. Voretzsch, Colmberg
Maße
89 72
Material
, Inventarnummer
1105 LM Standort
Raum 2.08 Kunstwerk des Monats
KdM_09_1986.pdf