Gabriele Münter Stillleben mit Buch, 1912
Das Gemälde von 1912, dem Jahr des Blauen Reiter Almanachs, ist typisch für die Arbeiten Gabriele Münters jener Zeit. Ihre volkskundliche Sammlung, die sie auf Konsolen, Schränkchen und Tischen arrangierte, integrierte sie bis in ihr Spätwerk hinein in ihre Stillleben und Interieurs. Das Bild fügt verschiedene Gegenstände zu einem Ganzen zusammen, zu einem Stillleben, das durch seine Kontraste und vor allem seine Energie besticht. Mindestens zwei gegensätzliche Gruppen von Dingen beherrschen das Bild. Rechts sind es eine grünblaue Vase mit Blumen, ein gemusterter, blauer Beutel, zwei bunt bemalte Holzfiguren mit bäuerlichen Charakter und zwei Bilder, das obere vermutlich von Münter selbst. Links fällt der im dunklen Rahmen und weitaus größerem Maßstab wiedergegebene Engel mit seinem pausbäckigen, naivgemaltem Gesicht, den rot gemalten Flügeln und dem blauen Gewand auf. Das dritte Bildelement, das blaue Buch, welches dem Stilleben auch seinen Titel gibt, schließt die Komposition. Ausgehend von ihren Studien der bäuerlichen Hinterglasmalerei, die Münter zusammen mit Wassily Kandinsky als Quelle künstlerischer Inspiration entdeckt hatte, sind in diesem Stillleben sowohl formale als auch inhaltliche Bezüge zu dieser Volkskunst erkennbar. Die Technik der Hinterglasmalerei, also die rückwärtige Bemalung einer Glastafel, ist zumeist nur aus der Volkskunst bekannt. Die Mariendarstellungen und regionale Patrone waren als Motive für Hauskapellen und Andachtsecken beliebt. Gerade das Unakademische der Volkskunst inspirierte Münter. Sie begann Hinterglasbilder, Votivbilder, Heiligen- und Spielzeugfiguren zu sammeln, die sie auf gemeinsamen Reisen, während ihrer Aufenthalte in Murnau und Umgebung, aber auch in München fand und nahm Unterricht bei einem Murnauer Glasmaler. Die bäuerlichen Hinterglaswerke mit ihrer flächigen, „unbekümmerten Formvereinfachung“, dem leuchtenden Kolorit in schwarzen Konturen trafen den Nerv der neuen Ausdruck suchenden Avantgarde.
Tanja Pirsig-Marshall
© VG Bild-Kunst, Bonn 2024
Leihgabe der Gesellschaft zur Förderung westfälischer Kulturarbeit e. V.
Leihgabe der Gesellschaft zur Förderung westfälischer Kulturarbeit e. V.
Maße
Höhe 70.7 cm Breite 78.3 cm
Material
Öl, Leinwand Inventarnummer
1026 FG Standort
Raum 2.08 Kunstwerk des Monats
KdM_12_2024.pdf