Paula Modersohn-Becker Selbstbildnis mit weißer Perlenkette, 1906
Selbstbewusst und offen schaut sie uns mit melancholischem Blick an. Ihre großen, stillen Augen sind pupillenlos, aber nicht leer. Ein leicht verzagtes Lächeln umspielt die Mundwinkel. Die Lippen sind rosig, die Wangen lebendig. Ihre streng gescheitelte Frisur unterstreicht die Symmetrie des Kopfes. Doch völlig untadelig sieht sich Paula Modersohn-Becker nicht: Eigenwillig bahnen sich einzelne Strähnen ihren Weg über dem Ohr. Sie wählte für dieses Selbstporträt milde Farben mit Ocker-Rottönen. So wirkt das Kleid mit locker getupften Punkten heiter. Blickfang ist eine Kette mit großen Perlen, die sich eng um den Hals schmiegt. Ein zeitloser Schmuck, wie er seit der Antike viele Frauen begleitet und vergleichbar auf mehreren Porträts der Künstlerin erscheint. »Es ist Abend. Ich bin allein und habe mich wieder mal gepinselt«, schreibt sie im März 1898 an die Eltern. Gut 30 Selbstporträts schuf sie während ihrer kurzen Tätigkeit, denn sie starb jung nach der Geburt ihrer Tochter an einer Embolie. Die meisten Bildnisse entstanden kurz vor ihrem Tod in den Jahren 1905 und 1906. Es gibt mehrere Zitate, die ihr Ziel in der Kunst wiedergeben. In nur sieben Worten fasst sie es in ihrem Tagebuch, am 20. Februar 1903 zusammen: Sie wollte »[…] bei intimster Beobachtung die größte Einfachheit anstreben« (zit. nach: Busch, von Reineken, 1979, S. 344). Die Familie unterstützte ihre Ambitionen von Beginn an. Im Frühsommer 1892 reiste sie zum Kunstkurs nach England; ab 1893 besuchte sie das Lehrerinnenseminar in Bremen mit privatem Malunterricht. Dann entdeckte sie, wie ihr Mann Otto Modersohn, das Künstlerdorf Worpswede im Teufelsmoor. Zunächst übte der Ort einen positiven Einfluss auf ihre Entwicklung aus, doch dann zog es sie immer wieder nach Paris. 1907 schrieb sie an ihre Freundin Clara Rilke-Westhoff, dass Paul Cézanne »einer von drei oder vier Malerkräften ist, der auf mich eingewirkt hat wie ein Gewitter und ein großes Ereignis«. Zudem hat sie Paul Gauguins Bilder gesehen – im Briefwechsel mit Rainer Maria Rilke tauchen beide Vorbilder auf. Rilke wiederum war es, der ihr den Kontakt zu Auguste Rodin vermittelte. Bis zum 30. Lebensjahr wollte sie es als Malerin unbedingt zu etwas gebracht haben. Das ist ihr auf lange Sicht auch gelungen. Zu Lebzeiten unterschätzt, zählt sie heute zu den wirklich bedeutenden Künstlerinnen des beginnenden 20. Jahrhunderts.
Inge Fisch
Stamm, Rainer (Hg.): Paula Modersohn-Becker, Briefwechsel mit Rainer Maria Rilke. Berlin 2011. Herzogenrath, Wulf u. Anne Buschhoff (Hg.): Paula Modersohn-Becker und die Kunst in Paris um 1900 – von Cézanne bis Picasso [Ausst. Kat.]. München 2007. Friedel, Helmut (Hg.): Paula Modersohn-Becker 1876–1907, Retrospektive [Ausst. Kat.]. München 1997. Busch, Günter u. Liselotte von Reinken (Hg.): Paula Modersohn-Becker in Briefen und Tagebüchern. Frankfurt a.M. 1979.
- - 1907–um 1919 Nachlass der Künstlerin - um 1917–1923 Bernhard Hoetger, Worpswede - 1923–1962 Theodor und Nanna Bleek, Bielefeld - seit 1962 LWL-Museum für Kunst und Kultur, Münster, erworben von Nanna Bleek, Bielefeld
Maße
Höhe 41.5 cm Breite 26 cm
Material
Öl, Pappe Inventarnummer
1081 LM Standort
Nicht ausgestellt Kunstwerk des Monats
KdM_07_2004.pdf