Gordon Matta-Clark Ohne Titel (Schnitt-Zeichnung), 1974
Bekanntheit erlangte der US-Amerikanische Künstler Gordon Matta-Clark insbesondere aufgrund seiner in den 1970er Jahren realisierten Einschnitte, sogenannte „Building Cuts“, in leerstehenden und für den Abriss freigegebenen Gebäuden. Mithilfe einer Motorsäge schnitt der Künstler durch Wände und Böden und machte so neben den verschiedenen Materialschichten auch ungewohnte Perspektiven sicht- und erlebbar. Seine ortsspezifischen Arbeiten, die heute allesamt nicht mehr erhalten sind, wiesen aber auch auf die vor Ort bestehenden sozialpolitischen Probleme von Gentrifizierung und steigenden Mietpreisen hin. Eng verknüpft mit seinen architektonischen Interventionen sind die zwischen 1972 und 1976 entstandenen Schnitt-Zeichnungen, für die Matta-Clark u.a. mit der Laubsäge geometrische Formen in zusammengepresste Papierstapel schnitt. „Ohne Titel (Schnitt-Zeichnung)“ wirkt wie die Vorstudie einer möglichen ortsspezifischen Intervention, in welcher der Künstler Formen und Bewegungsabläufe erprobt. Der Studiencharakter entspringt insbesondere der Unvollständigkeit der Kreisformen, die hier nur andeutungsweise als vier einander durchschneidende oder berührende Halbkreise erscheinen. Ganz ähnlich wie seine „Building Cuts“ ist die Schnitt-Zeichnung auch Ausdruck einer konkreten Handlung, nämlich der eines Einschnitts in ein Gebäude bzw. einen Papierstapel. Die Zeichnung wird so zur Negativform einer noch auszuführenden Öffnung der architektonischen Oberfläche: Sie gibt zunächst nur den Rahmen für einen möglichen Gebäudeeinschnitt vor, ohne die vollständige Öffnung zu vollziehen.
Generali Foundation (Hg.): Reorganizing Structure by Drawing through it. Zeichnung bei Gordon Matta-Clark, Köln 1997.