Sechs Tafeln vom Hochaltarretabel des Zisterzienserklosters Marienfeld: Christus vor Pilatus, 1443-1456/57
Präsentation Christi im Tempel, Gefangennahme, Christus vor Pilatus, Verspottung Christi, Grablegung Christi und Erscheinung des Auferstandenen vor Maria sind die Themen der sechs Bildtafeln. Zusammen mit zwölf weiteren Gemälden, von denen eines verloren gegangen ist, schmückten sie das Hochaltarretabel der ehemaligen Zisterzienser-Klosterkirche Marienfeld. Der in Münster tätige Maler Johann Koerbecke pflegte zu dem dortigen Konvent enge, auch religiöse Beziehungen. Dies erklärt wohl die Auftragsvergabe, als man den bedeutenden Kirchenbau mit einem neuen Reliquienretabel mit Klappflügeln ausstattete. Der Mittelschrein war mit – heute noch erhaltenen – Reliquienschädeln und -kästchen, die Predella mit Apostelfiguren versehen. Die zentral positionierte, thronende Madonna verweist auf die besondere Marienfrömmigkeit der Zisterzienser und ergänzt das Programm der festlichen Innenseite, die dem Marienleben gewidmet ist. Der Passionszyklus der schlichteren Außenseiten fügt sich chronologisch zwischen die Präsentation Christi im Tempel und die Erscheinung des Auferstandenen ein. Das Bildprogramm des Retabels basiert unter anderem auf der um 1350 entstandenen Vita Jesu Christi des Kartäusermönchs Ludolf von Sachsen, die sich um eine neuartige, meditative Versenkung in die Leiden Christi bemühte. Ihre künstlerische Umsetzung fand die theologische Schrift bei Koerbecke in der durch die altniederländische Malerei inspirierten naturgetreuen Wiedergabe der Szenen. Das seltene Motiv der Erscheinung des Auferstandenen vor Maria ist in der Regel durch das Erschrecken Marias gekennzeichnet. Koerbecke hingegen wählte einen Moment des ruhigen Nebeneinanders für seine Darstellung. Vergleichbare Umsetzungen finden sich in Köln, wo das Werk Ludolfs große Verbreitung gefunden hatte und wo sich auch einige Marienfelder Mönche zum Studium aufhielten. Wie im Text der Vita verweist die Erscheinung auf die Gleichsetzung Marias mit der Braut Christi beziehungsweise der Ecclesia (Kirche) im Sinne des Hoheliedes. Der Marienzyklus der Innenseiten illustrierte die höchsten Feiertage des Kirchenjahres, während die acht Bilder der Außenseiten die Mönche zur Meditation während der acht Stundengebete anhielten. Das Retabel entstand im Zuge der Marienfelder Klosterreformen, die unter anderem eine Vergegenwärtigung der Passion im Gebet forderten.
Petra Marx/Patrick Kammann
Paul Pieper: Kunstwerk des Monats. Johann Koerbecke: Christus erscheint Maria. In: Westfalenspiegel. Illustrierte Monatszeitschrift, März 1967. Dortmund 1967. S. 22–24. Reinhard Karrenbrock: Heilige Häupter in textiler Zier. Das spätgotische Hochaltarretabel der Zisterzienser-Klosterkirche Marienfeld und sein verlorener Reliquienschrein. In: Marx, Petra (Hg.): Neue Forschungen zur Alten Kunst (Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde, 85./86. Bd., 2007/2008). Münster 2010, S. 263–300. Géza Jászai: Der ehemalige Hochaltar der Klosterkirche der Zisterzienserabtei Marienfeld – Ein neuer Rekonstruktionsversuch. In: Behr, Hans Joachim [u. a.] (Hg.): Westfalen. Hefte für Geschichte, Kunst und Volkskunde, 68. Bd., 1990. Münster 1993. S. 31–47. Jochen Luckhardt: Der Hochaltar der Zisterzienserklosterkirche Marienfeld (Bildhefte des Westfälischen Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte 25). Münster 1987. Petra Marx/Patrick Kammann: Johann Koerbecke. Sechs Tafeln vom Hochaltarretabel des Zisterzienserklosters Marienfeld, in: Einblicke – Ausblicke. Spitzenwerke im neuen LWL-Museum für Kunst und Kultur in Münster, hrsg. v. Hermann Arnold, im Auftrag des Landschaftsverbandes Westfalen-Lippe, Wienand Verlag, Köln 2014, S. 80f.