Annette Kelm Untitled, 2010
In ihren scheinbar schlichten und eindeutigen fotografischen Serien lässt Annette Kelm nicht nur ihre fotografischen Einflüsse aufscheinen, sondern macht auch den Betrachtenden ein Angebot zur Reflexion über persönliche und kulturhistorische Zusammenhänge. Ihre hochgradig stilisierten und detailscharfen Farbaufnahmen sind das Resultat einer intensiven Auseinandersetzung mit der artifiziellen Ästhetik der frühen Modefotografie, der konzeptuellen Ansätze des Künstler:innenpaares Bernd und Hilla Becher sowie des Bildhauers Dan Grahams, aber auch der frühen Hollywood-Stummfilme. Die Fotografie „Untitled“ aus dem Jahr 2010 zeigt eine Tischlampe mit organisch geformtem Holzfuß in verschiedenen Zuständen des Gekipptseins, im Studio fotografiert und perfekt ausgeleuchtet, ohne räumlichen Kontext. Diesen herzustellen, ist Aufgabe der Betrachtenden: Kelm lässt alle Fragen danach, woher das Objekt stammt und in welcher Zeit es entstanden sein mag, unbeantwortet. Aufgrund ihres Designs lässt die Lampe an die „German Gemütlichkeit“ der Nachkriegsjahrzehnte denken und reflektiert zugleich den vorherrschenden Einrichtungsstil: solide, dunkle Möbel waren Ausdruck einer wiedergewonnenen Stabilität und symbolisierten Wohlstand. Nach den Katastrophen von Nationalsozialismus und Zweitem Weltkrieg wurde dies nicht nur politisch forciert, sondern fand auch im eigenen Heim Ausdruck. Dass diese Stabilität moralisch auf Sand gebaut war und spätestens mit der Generation der 68er ins Wanken geriet, darauf mag Kelm durch die im Kippen begriffene Darstellung der Lampe hinweisen.
Kelm, Anette: Anette Kelm. Influences, in: Frieze 191, 2017, S. 116-119.
Erworben mit Unterstützung der Freunde des Museums für Kunst und Kultur Münster e. V., 2012