Johann Heiss Eine Kunstakademie, um 1680 – 1690
Eine Gruppe junger Künstler hat sich zum gemeinsamen Zeichnen zusammengefunden. Als Modelle dienen sowohl antike Statuen – eine Replik nach der Aphrodite von Knidos (Praxiteles) aus der römischen Sammlung Ludovsi links und eine verkleinerte Kopie des berühmten römischen Herkules Farnese (Lysipp) rechts – als auch ein männliches Aktmodell, dessen Haltung zusätzlich auf eine der meiststudierten Antiken Roms, nämlich den Torso von Belvedere rekurriert. An der Wand des Studienraumes hängen drei Gemälde, die südliche Landschaften darstellen: Das linke Bild zeigt ein Hirtenpaar vor einem antiken (?) Monument, in der Mitte wird der Blick in ein weites Tal mit Staffagefiguren im Vordergrund freigegeben, und rechts sieht der Betrachter einen reißenden Gebirgsbach. Auf der Konsole, die die drei Gurtbögen des den Raum überspannenden Gewölbes aufnimmt, ist schließlich noch eine weibliche Büste angebracht. Wesentliche Teile der Lehrinhalte der frühneuzeitlichen Kunstakademien sind hier präsent: das Studium der Antike, des lebenden Modells und der alten Meister. Die Szenerie ist in ein goldenes, geradezu feierliches Licht getaucht und wird theatralisch überhöht durch einen oben und seitlich das Bild dunkel rahmenden Vorhang. Das idealisierte Gepräge der Szene wird gesteigert durch die ungewöhnliche Kleidung der zeichnenden und diskutierenden Künstler, in der Zeitgenössisches wie die Beinkleider, Hemden und Westen mit antikischer Kleidung wie den Sandalen und Togen sowie orientalischen Turbanen gemischt ist. Akademieszenen, im 17. Jahrhundert ein beliebtes Genre, sind insbesondere vom Augsburger Maler Johann Heiss mehrfach gemalt worden (Braunschweig, Herzog-Anton-Ulrich-Museum; Staatsgalerie Schloss Ludwigsburg; Friedrichshafen, Zeppelin Museum und andere), wobei Heiss nicht nur das Vorhangmotiv, sondern auch einzelne der dargestellten Zeichner mehrfach wiederholt – ein Grund mehr, in dem Bild keine, wie man früher vermutete, »realistische« Dokumentation der ersten Akademiesitzungen der 1670 in Augsburg von Joachim von Sandrart gegründeten Freien Kunstakademie zu erkennen, sondern es vielmehr als idealisierte Darstellung des freien Kunstunterrichts zu deuten, ein Bildgenre, das bereits eine längere, in der italienischen Renaissance beginnende Tradition hatte. Dennoch gibt es durchaus realistische Momente und Bezüge zu den im 17. Jahrhundert allerorten entstehenden Zeichenschulen und Akademien, war doch das Studium nach dem lebenden Modell in der freien Kunst ein entscheidender und bewusst inszenierter Unterschied zur künstlerischen Ausbildung im Handwerk und in den Gilden. Hinzu kam der programmatische Italien- und Antikenbezug dieser Neugründungen, der sich eben auch in der antikisierenden Kleidung der Zeichenschüler in diesem Bild widerspiegelt.
Hermann Arnhold
Meighörner, Wolfgang (Hg.): Johann Heiß. Schwäbischer Meister barocker Pracht. Zeppelin-Museum Friedrichshafen, Technik und Kunst [Ausst. Kat.]. Friedrichshafen 2002. Lorenz, Angelika: Renaissance und Barock. Auswahlkatalog des Westfälischen Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte Münster. Münster 2000. S. 155. Tacke, Andreas: Vom Handwerker zum Künstler. Thesen zu den Anfängen der deutschen Akademien nach dem Westfälischen Frieden. In: Bußmann, Klaus u. Jacques Thuilier (Hg.): 1648, Paix de Westphalie. L’art entre la guerre et la paix; Westfälischer Friede. Die Kunst zwischen Krieg und Frieden. Akten der Tagung in Münster und Osnabrück 19.11.1998 und Paris 20.–21.11.1998. Paris/ Münster 1999. S. 319–334
Erworben mit Unterstützung des Landes Nordrhein-Westfalen
- […]
- o. J.–1976 B. Cohen & Sons Ltd., London
- 1976–1978 P. & D. Colnaghi & Co. Ltd., London
- 1978 erworben mit Unterstützung des Landes NRW
Maße
Höhe 107 cm Breite 106 cm
Material
Öl, Leinwand Inventarnummer
1557 LM Standort
Raum 1.19 Kunstwerk des Monats
KdM_09_1980.pdf