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Hendrick Goltzius Der Heilige Sebastian, 1615
Im Verständnis der Gegenreformation sollte die religiöse Malerei den Lebens- und Leidensweg der Heiligen und Märtyrer für den Betrachter emotional nachvollziehbar machen. Ein solcher Appell an das Gefühl visualisiert sich im Bild des heiligen Sebastians von Hendrick Goltzius. Der Heilige, der in einem ersten Tötungsversuch gefesselt und mit Pfeilen gemartert wurde, wirkt in der Wohlgestalt seines Körpers jedoch nicht von Schmerz gezeichnet, sondern wie ein antiker Held. Der Engel, gekleidet in die Märtyrerfarbe Rot, der von rechts mit der Krone des Märtyrers naht und im Begriff ist, die Leidenswerkzeuge zu entfernen, ist eine Assistenzfigur für den eigentlichen Bildinhalt: In der schönen Gestalt Sebastians und seinem verklärt himmelwärts gerichteten Blick ist der Triumph des Glaubens über das Leiden versinnbildlicht und plastisch vor Augen geführt. Der Haarlemer Künstler, der erst in seinen späten Jahren, um 1600, ein malerisches Werk begann – vorher war er sehr erfolgreich als Kupferstecher und Verleger tätig – nahm das Bildthema auch zum Anlass, um sich mit einem der wichtigsten künstlerischen Themen der Zeit, dem männlichen Akt, auseinanderzusetzen. Galten doch die harmonischen Proportionen eines nackten menschlichen Körpers nicht nur als Ideal der Vollkommenheit äußerer Schönheit, sondern waren zugleich Teil einer abstrakten Idee, in der das Schöne, Wahre und Gute eine Verbindung eingingen. Zur Wiedergabe der Nacktheit wurde von den Künstlern neben Studien nach dem lebenden Modell auch die Orientierung an den antiken Kunstwerken vorausgesetzt, denn diese dienten als Vorbilder für das Ideal des vollkommenen Aktes. In der plastischen Gestaltung des heiligen Sebastians strebte Goltzius dieses Körperideal an und nutzte seine Zeichnungen nach der Antike, die er auf einer Italienreise angefertigt hatte: Der muskulöse Oberkörper des Heiligen hat sein Vorbild in einer der berühmtesten antiken Skulpturen, dem Torso Belvedere, den Goltzius 1591 in einer Zeichnung festhielt (Haarlem, Teylers Museum). In der Gestalt des heiligen Sebastians verbindet der Maler die christliche Glaubensbotschaft mit dem Ideal des antiken Heros in monumentalisierender, frühbarocker Malerei.
Angelika Lorenz
Nichols, Lawrence W., u. a.: Hendrick Goltzius (1558–1617), Drawings, Prints and Paintings. [Ausst. Kat.] Amsterdam/Zwolle 2003. Reznicek, E. K. J.: Die Zeichnungen von Hendrick Goltzius, Utrecht 1961.
Leihgabe des Westfälischen Kunstvereins
Maße
Höhe 101 cm Breite 90 cm
Material
Öl, Leinwand Inventarnummer
192 WKV Standort
Raum 1.19 Kunstwerk des Monats
KdM_11_1989.pdf