Hans Ulrich Franck Nächtlicher Überfall, um 1643 – 1656
Vor der Kulisse brennender Häuser packt ein Mann, das gezückte Schwert in der Hand, einen nach links fliehenden bärtigen Alten am Hemd und holt gerade zum tödlichen Stoß gegen den betend die Hände erhebenden Halbnackten aus. Hinten flieht eine unbekleidete Frau. Die Verzweiflung der Unbewaffneten, die dem Angreifer völlig hilflos ausgeliefert sind und die dem Gesicht ablesbare rasende Wut des zum Töten Entschlossenen bestimmen das Handlungsmotiv. Der Tötende trägt einen Hut mit einigen Hahnenfedern – ein Symbol des Teufels. Ein zweites Blatt (Inv.Nr. C-1152a LM) ist eine seitenverkehrte, auf 1656 datierte Wiederholung. Beide Blätter sind Teil eines Zyklus von 25 kleinformatigen Radierungen des Augsburger Kupferstechers Hans Ulrich Franck, entstanden während und nach dem Dreißigjährigen Krieg. Er spiegelt die Erfahrungen des Dreißigjährigen Krieges: die Verselbständigung der Gewalt. Der Tötende ist kein Soldat, sondern ein Zivilist, der im Krieg hemmungslos seine Aggressionen ausleben kann und darin teuflische Züge offenbart. Die Verselbständigung militärischer Gewalt war ebenso kennzeichnend für das Handeln vieler Heerführer, etwa des „Tollen Christian“, dem Herzog Christian von Braunschweig (1599–1626) oder Albrechts von Wallenstein (1584–1634) wie auch vieler Offiziere und auch für das Verhalten einfacher Soldaten – so schilderte es Grimmelshausen in seinem Kriegsroman „Simplicius Simplicissimus“ (1669). Das politische Problem, hemmungslose Gewalt zu zügeln, führte letztlich zum Konzept der Souveränität: das Gewaltmonopol wurde beim Landesherrn angesiedelt. Der Westfälische Frieden machte es 1648 zu einer Grundlage des Völkerrechtes.
Gerd Dethlefs
Geschenkt! Erwerbungen des Freundeskreises des Westfälischen Landesmuseums für Kunst und Kulturgeschichte Münster [Ausst.Kat. LWL-Landesmuseum für Kunst und Kulturgeschichte - Westfälisches Landesmuseum], Münster 2007, S. 83 (Gerd Dethlefs). Bussmann, Klaus / Schilling, Heinz (Hg.): 1648. Krieg und Frieden in Europa [Ausst.Kat. zur 26. Europaratsausstellung]. Münster / Osnabrück 1998. Katalogband S. 159-160 (Kerstin Wiedau). Knauer, Martin: „Bedenke das Ende“. Zur Funktion der Todesmahnung in druckgraphischen Bildfolgen des Dreißigjährigen Krieges. Tübingen 1997. S. 28-38, 173 Abb. 17 ("Der nächtliche Überfall"). Sammlerstempel C+CM = Lugt 514a (nicht identifiziert).