Carl Gustav Carus Blühende Holunderhecke im Mondschein, um 1825
Gemalt von einem Naturwissenschaftler, ist das kleine Gartenbild weit davon entfernt, eine wissenschaftlich geprägte Naturstudie zu sein. In der Nahsicht auf die Natur, im Zusammenklang von Erde und Himmel, Luft und Licht, der lebendigen Struktur der Hecke und den Spuren menschlichen und tierischen Lebens, vermitteln sich vielmehr Gefühle und Stimmungen. Mit der Abwesenheit des Menschen beziehungsweise seiner lediglich symbolischen Präsenz über das Buch führt Carus Motive des Unausgesprochenen, Vagen, Schwebenden in das Bild ein. Sie verunsichern den Betrachter, ziehen ihn aber auch in das kleine Bild hinein. Der Schöpfer dieser gemalten Meditation war einer jener Universalgelehrten, wie sie die Goethezeit hervorgebracht hatte. Bevor sich im Verlauf des 19. Jahrhunderts die wissenschaftlichen Einzeldisziplinen entwickelten, beschäftigten sich im 18. Jahrhundert Gelehrte oft mit Fragen aus sehr unterschiedlichen, kaum zusammenhängenden Fachgebieten. Grundlegend hierfür war die Wissenschaftsdefinition der Aufklärung, nach der sich die Welt und ihre Phänomene in zusammenhängenden, grundlegenden Gesetzen erklären lassen. Carus war in Dresden praktischer und forschender Mediziner im Bereich der Gynäkologie sowie Autor zahlreicher Veröffentlichungen zu naturkundlichen und psychologischen Fragestellungen. Seit den Jugendtagen galt sein Interesse aber auch der bildenden Kunst. Er zeichnete und malte und beschritt in seinen Neun Briefen über die Landschaftsmalerei (1815–1824) auch kunsttheoretischen Boden. Für seine eigene Malerei, seine Versuche in Richtung einer neuen Landschaftsmalerei abseits der an den Akademien gelehrten idealistisch überhöhten Landschaftskunst, sollte Caspar David Friedrich sein künstlerischer Leitstern und Freund werden. Im Mittelpunkt stand beider Bekenntnis zu einer differenzierten, unmittelbaren Naturauffassung in der Landschaftsmalerei, gewonnen auf zahlreichen gemeinsam unternommenen Wanderungen in den Hängen und Auen des Elbtals und der Sächsischen Schweiz. Der malende Naturwissenschaftler verdankte Friedrich sein Wissen über Maltechnik, Bildaufbau und die seelisch-geistigen Räume in dessen Bildwelten. Hauptthemen in diesen sind das Verhältnis des Menschen zur Dimension des Göttlichen, seine Sehnsucht, sein Suchen nach Erlösung in der Natur und das Bewusstsein seiner irdischen Gebundenheit. Auch wenn Carus’ Kunst nicht aus dem Schatten des Vorbildes heraustreten sollte, gelang ihm mit Bildern wie der Blühenden Holunderhecke im Mondschein eine Annäherung an die spirituell und poetisch verdichteten Naturdarstellungen des großen visionären Dresdner Romantikers.
Angelika Lorenz
Kuhlmann-Hodick, Petra / Spitzer, Gerd / Maaz, Bernhard (Hg.): Carl Gustav Carus. Natur und Idee [Ausst.-Kat. Alte Nationalgalerie, Berlin 2009], Berlin 2009.
Schulze, Sabine / Beyer, Andreas / Busch, Werner (Hg.): Gärten. Ordnung, Inspiration, Glück [Ausst.-Kat. Städel Museum, Frankfurt a. M. 2006 / Lenbachhaus, München 2007], Berlin 2006.
Prause, Marianne: Carl Gustav Carus. Leben und Werk. Werkverzeichnis, Berlin 1968.
Leihgabe der Bundesrepublik Deutschland
- seit 1967 Dauerleihgabe der Bundesrepublik Deutschland
Maße
Höhe 37 cm Breite 27.5 cm
Material
Öl, Pappe Inventarnummer
1156 BRD Standort
Raum 1.30 Kunstwerk des Monats
KdM_04_2010.pdf