Rheinland Almosen- oder Reliquienbeutel, Ende 13. Jh.
Die kostbare kleine Tasche befindet sich als Leihgabe des Altertumsvereins in unserer Mittelalter-Sammlung. Ihre Trapezform, das wertvolle Material und die aufwändige Gestaltung sprechen dafür, dass es sich um ein Almosenbehältnis handelt, das später vielleicht auch der Aufnahme von Reliquien diente. Auf rotem Seidenbrokat ist auf der Vorder- und Rückseite der Tasche fast spiegelbildlich ein goldgewebter schreitender Greif mit gerecktem Kopf und erhobenen Flügeln zu sehen, umgeben von stilisierten Bäumchen und Blumenranken. Was auf den ersten Blick wie ein größerer Beutel mit seitlich angenähten kleinen Beutelchen aussieht, ist im Inneren durch Futterstoff und weiche Leder nochmals zweigeteilt. Damit hatte der:die hochgestellte Träger:in die Möglichkeit, Münzen oder andere kleine Preziosen in vier getrennten Kompartimenten zu verwahren. Geschlossen werden die seitlichen und die beiden Hauptbeutel durch ein raffiniertes System von geflochtenen Zugbändern. Zur leichteren Handhabung sind die Bänder teils mit Zierknoten aus Metall- und Seidenfäden besetzt, die auch den unteren Rand des Beutels schmücken. Auch wenn verschiedene Motive wie der Greif oder die Musterung an Byzanz oder Italien erinnern, hat eine technologische Untersuchung im Jahr 2001 die bislang angenommene nordalpine Herkunft der Tasche bekräftigt. Darstellungen ähnlicher Täschchen, auch als modische Accessoires, finden sich ebenso in der mittelalterlichen Malerei und Skulptur Westfalens (vgl. Inventar-Nummer Nr. 2 WKV).
Jászai, Géza: Gewebt, gewirkt, gestickt. Meisterwerk der Textilkunst aus sieben Jahrhunderten [Ausst.-Kat. Ev. Stadtkirche, Unna 1975], Unna 1975, S. 16, 90.
Keruzec, Annaick: Ein mittelalterlicher Beutel aus dem LWL-Landesmuseum Münster, unveröffentlichte Bachelorarbeit, Institut für Restaurierung und Konservierung, Fakultät Kulturwissenschaften der FH Köln, 2011.
Speiser, Noemi / Boutrup, Joy: European Loop Braiding. Investigations and Results, Bd. 4, Leicester 2012, S. 30f.