Der rechteckige Kasten und das Walmdach des Reliquiars aus der Pfarrkirche in Dolberg, Kreis Warendorf wimmeln von flach geschnitzten, prächtig bemalten Tieren und Fabelwesen: Pfauen, Adler, Schlangen und geflügelte Löwen präsentieren sich paarweise oder in Kampfszenen. Die Seitenflächen und das Dach werden von einer Perlstab-Leiste umrahmt – ein Element, das auch in der Tierornamentik wie bei den beiden Drachen an der rechten Schmalseite eine wichtige Rolle spielt.

Die scheinbar rein weltlichen Motive wirken an einem Behältnis für heilige Gebeine zunächst befremdlich. Auf die Symbolik der dargestellten Wein- und Palmettenranken als Hinweise auf das Blut der christlichen Märtyrer und den Paradies- oder Lebensbaum hat Géza Jászai (Jászai 1993) aufmerksam gemacht. Anlässlich der Ausstellung „Barbarossa. Die Kunst der Herrschaft“ konnte der Kasten erstmals in einen größeren kulturellen Kontext gestellt werden (Leopold 2022). Sein Dekor erinnert z. B. an reich verzierte Olifanten, also Elfenbein-Hörner, die sowohl im christlichen als auch im islamischen Raum entstanden. Das hölzerne Kästchen folgt in Form und Schmuck ähnlichen Beispielen aus Elfenbein, die im 11. Jahrhundert in den Hofwerkstätten des umayyadischen Kalifats in Cordoba oder auch in Byzanz angefertigt wurden. Es bleibt aber offen, ob das Reliquiar direkt aus dem Mittelmeerraum stammt oder nach einem solchen Vorbild in Nordeuropa geschaffen wurde.