Frau mit Hut, 1930
Zeit ihres Lebens hat Annelise Kretschmer ausschließlich in Schwarz-Weiß fotografiert. Modefotografien oder – wie Annelise Kretschmer es selbst formulierte – „Portraitaufnahmen, bei denen ich mit Stoffen und Accessoires spielen konnte“, entstanden ab 1929. In diesem Jahr gründete sie auch ihr eigenes Fotoatelier in der Dortmunder Innenstadt. Hier fotografierte sie ihre Modeaufnahmen für das elterliche Modehaus und die „Wochenschau“ der „Westdeutschen Illustrierten Zeitung“. „Als Fotografin begann [ich] mit dem Portrait und es blieb mein Hauptaufgabengebiet“ – so formulierte Kretschmer ihr fotografisches Interesse am Menschen. Besonders dem femininen Porträt als „Spiel“ mit Accessoires und Stoffen, blieb Kretschmer über die folgenden Jahrzehnte ihrer fotografischen Karriere treu. In leichter Untersicht fotografiert Kretschmer mit „Frau mit Hut“ eine abgewandte Frau, die in Rückansicht von hinten über die linke Schulter zu sehen ist. Der dabei von der Fotografin gewählte Porträtausschnitt oszilliert zwischen Kopfbild und Schulterstück. Im Wechselspiel zwischen abgewandtem Frauenkopf und Hintergrundbild entsteht ein multiperspektivisch anmutendes komplexes Gesamtporträt – eine Aufnahme, die mit allen traditionellen Gestaltungsregeln für fotografische Porträts bricht. Dass die Fotografin sich dieser Brüche gezielt bedient, schildert sie 1982 in einem Interview: „Die meisten Leute, die zu mir kamen, wußten, wie ich fotografiere, sie kannten meinen Stil. Anders kann ich nicht fotografieren.“ Schon früh, während der Zeit im Atelier ihres Lehrmeisters Franz Fiedler in Dresden (1924 -1928) hat sich Annelise Kretschmer eine spezifische Herangehensweise für ihre Porträtfotografie angeeignet. Dies würdigt in Folge auch die Fachwelt. „Annelise Kretschmer geht eigene Wege. Ihre Bildnisse unterscheiden sich durch eigenartige Auffassung so sehr von den überlieferten Stellungen, Beleuchtungen, Formaten, daß sie in den Rahmen des professionellen Porträts nicht mehr hineinzupassen scheinen. Es gibt aber heute ein Publikum ... das sich nicht beeinflussen läßt, das Neuartige wünscht ... A. Kretschmer hat ein solches Publikum und das Talent ihm zu genügen“, so die Gesellschaft Deutscher Lichtbildner 1931. „Frau mit Hut“ verweist somit auf ein fotografisches Lebenswerk, das dem Porträt in einer sehr persönlichen Sichtweise konsequent verpflichtet ist. Stephan Sagurna Literatur: Die Wochenschau. Westdeutsche Illustrierte Zeitung des Generalanzeigers für Elberfeld-Barmen, Essen 1930, Nr. 25 und Nr. 45 Das Atelier des Photographen. Organ der Gesellschaft Deutscher Lichtbildner, Halle a. d. Saale 1931, Bd. 38, Heft 2 Ute Eskildsen (Hrsg.), Annelise Kretschmer – Fotografin, Essen 1982 Esther Ruelfs, Annelise Kretschmer. Fotografien 1927–1937, Göttingen 2003 Hannelore Fischer (Hrsg.), Annelise Kretschmer – Entdeckungen. Photographien 1922–1975, Köln 2016 Volker Jakob (Hrsg.), Lichtbilder auf Papier. Fotografie in Westfalen 1860-1960, Münster 1999
Stephan Sagurna
Nachlass Annelise Kretschmer
Maße
39.2 29.6
Material
, Inventarnummer
C-30629 LM Standort
Nicht ausgestellt Kunstwerk des Monats
KdM_05_2020.pdf