Agostino Carracci
Biografie
Biogramm: Stud. bei Prospero Fontana, danach bei Bartolomeo Passerotti. Um 1578-81 als Stecher bei Domenico Tibaldi tätig. Sicher kommt C. dabei eine vorherige, nicht genauer dok. Lehre als Goldschmied zugute (viell. bei dem Bildhauer Alessandro Menganti). Tritt mit einer Bukranion-Darst. für die 2. Aufl. der "Symbola" des Francesco Bocchi 1574 als Stecher erstmals in Erscheinung (ersetzt einen beschädigten Druckstock von Giulio Bonasone). Es folgen mehrere 'Hl.Fam.' u.a. relig. Motive, z.T. nach eigenen Entwürfen, z.T. nach G.B. Ramenghi (gen. Bagnacavallo), Michelangelo, Samacchini, Sabatini, Peruzzi, Giulio Campi und Francia. In Technik und Stil zunächst von Marcantonio Raimondi beeinflußt, dessen Vorlagen C. gelegentl. übernimmt. Aber bereits ein Stich der Geburt Christi nach Peruzzi verrät das Vorbild des Cornelius Cort, dessen Bll. C. in der Tibaldi-Wkst. stud. konnte. (Eine von Malvasia vermutete Rivalität von C. mit Cort identifiziert C.Dempsey als Auseinandersetzung mit Cristofano Cartaro, der Stiche des Agostino reproduzierte und in betrüger. Absicht mit "C.Cart." sign.). Der Kreis manierist. Maler (Denis Calvart, Federico Zuccari, Raffaellino da Reggio), deren Werke C. graph. umsetzt, nimmt zu, ebenso die Neigung, darin dekorative und realist. Elemente der Orig.-Entwürfe zu "schönen". Dies führte zu Unstimmigkeiten mit Barocci und Tintoretto (deren Gem. C. in späteren Jahren kopiert). Die Dat. einiger Bll. erlaubt Rückschlüsse auf die künstler. Laufbahn: 1581 (Publ.-Jahr des berühmten Stadtplans von Bologna) Romaufenthalt (vgl. die Dat. der sog. 'Santini'); 1582 entstehen in Cremona Probedrucke und erste Ill. zu 'Cremona Fedelissima' von Campi; in Venedig zahlr. dat. Stiche nach Tintoretto und Veronese. Die Kenntnis der parmens. Kunst um 1580 belegen Briefe von Malvasia (Reise zus. mit Annibale C.), obwohl erste Reprod. nach Correggio 1586-87 nach einer erneuten Reise entstehen. Eine weitere Bll.-Serie nach venez. Künstlern folgt unmittelbar und dok. einen vermutl. mehrfach unterbrochenen Venedigaufenthalt, seinen letzten, wie der abschließende Stich der 'Kreuzigung' des Tintoretto in San Rocco (1589) belegt. Wahrsch. ist C. unmittelbar danach für kurze Zeit in Florenz. In den 1590er Jahren voll. er - neben Ill. zu 'Gerusalemme Liberata' von Tasso nach Zchngn von Bernardo Castello sowie Eigenentwürfen von Frontispiz und akad. Impresen für die 'Ricreazioni Amorose degli Accademici Gelati di Bologna' - seine berühmte Ser. der durch Clemens VIII Aldobrandini zensierten 'Lascivie'. Es folgen zahlr. Kardinalswappen, mehrere Portr. (z.B. von 'Ulisse Aldrovandi' und dem Komiker 'Sivello'), einige graph. Bll. nach Gem., u.a. 'Aeneas flieht aus Troja' (nach F. Barocci), 'Hl.Franziskus in der Ekstase' und 'Hl.Hieronymus' (nach Vanni) und wenige Eigen-Komp. (darunter sein letztes, von Francesco Brizio voll. Werk 'Büßender hl.Hieronymus'). Die graph. Produktion der 1590er Jahre erscheint vergleichsweise gering zugunsten einer intensiven Tätigkeit als Maler, die jetzt ihren Höhepunkt erreicht: neben zahlr. Portr. malt C., meist zus. mit Annibale, u.a. zw. 1596 und '99 in der Gall. Farnese. Vermutl. wegen Unstimmigkeiten mit Annibale reist er 1599 nach Parma, wo er nach knapp drei Jahren, während seiner Arbeiten im Pal. del Giardino stirbt. Während das graph. Werk C.s gründl. erforscht und systematisiert ist, bleibt die Gem.-Produktion (von Ostrow in einer Diss. z.T. behandelt) in Chronologie und Umfang unklar. Zahlr. bis zur M. der 1980er Jahre C. zuerkannte Gem. gelten heute übereinstimmend als Werke von Ludovico, Annibale, Antonio C. oder Bartolomeo Schedoni. Wenige Anhaltspunkte bieten die ersten bolognes. Arbeiten von C. zus. mit den Verwandten im Pal. Fava 1584 (fast alle Chiaro-Scuro-Darst. im Jason-Saal, zahlr. Rahmungen, sowie lt. Ostrow, Feigenbaum und Robertson das gesamte Programm im Jason- und Aeneas-Saal von seiner Hand); ebenso die gemeinsame Ausf. der Fresken im Pal. Magnani (1590-92) und Pal. Sampieri (1593-94). 1593 Teiln. an der Dekoration des Salons im Pal. dei Diamanti zu Ferrara. Als gesicherte Staffelei-Gem. gelten die 1586 in Parma entstandene und dat. 'Madonna mit Hll.', die bolognes. 'Anbetung der Hirten', die 'Kommunion des hl.Hieronymus' (1591/92), eine späte 'Himmelfahrt Mariä' (Bologna, Pin.), ein 'Letztes Abendmahl' (Prado) samt ferrares. Replik, das Gem. 'Christus und die Ehebrecherin' (Sampieri; um 1595) sowie 'Arrigo der Haarige, Pietro der Narr und Amon der Zwerg' (zw. 1596 und '99). Dagegen erscheinen die neueren Zuschr. z.T. problematisch. Zwar werden C. das sog. 'Bildnis der Olimpia Luna' sowie die genues. Werke 'Ecce homo' und 'Büßende Magdalena' nahezu einstimmig zuerkannt, unsicher erscheint jedoch eine kürzl. und (mangels entsprechender Dok.) wenig überzeugend Lanfranco zugeschr. 'Rebekka am Brunnen' (Burghley House); ebenso weist die allg. C. zugesprochene 'Hl.Fam. mit dem Johannesknaben' (Genua) stellenweise Spuren fremder (Wkst.-) Mitarb. auf. Zahlr. der z.Z. gültigen (und im Falle des genues. 'Weinenden hl.Petrus' und des 'Todes des Aktäon' aus Raleigh überzeugenden) Zuschr. an C. entstammen trad. den Werk-Inv. des bedeutenderen Annibale, so etwa neben den genues. Gem. auch die 'Grablegung' aus der Ermitage. Offen bleibt die Urheberschaft des Londoner Gem. 'Raub der Europa' (samt röm. Kopie), während eine offensichtl. von Niccolò dell'Abate inspirierte 'Landschaft mit dörfl. Fest' aus Marseille sich eindeutig als Werk C.s ausweist, trotz der trad. Zuschr. an Annibale. Diesem wäre andererseits das zweite umstrittene Landschaftsbild, die 'Vision des hl.Eustachius' zuzusprechen. Schließlich muß eine uspr. C., neuerdings aber wohl zu Recht dem Sohn Antonio zugeschriebene florentin. Landschaftsgouache gen. werden. - Seit Malvasia gilt C. als reich facettierte Persönlichkeit mit lit., musikal. und naturwiss. Interessen und deutl. Neigungen zu kunsttheoret. Reflexion. Dies bezeugen die erh. Quellen, v.a. der Bericht über die zu Ehren C.s von der Accad. degli Incamminati 1603 in Bologna feierlich begangene Bestattungszeremonie. Neuere Forsch. belegen jedoch, daß der Cousin Ludovico C. ihm im Austausch mit Intellektuellen und Literaten keineswegs nachsteht. Obwohl im späten Seicento in den Namenslisten der Accad. letteraria dei Gelati erw., bestehen Zweifel an der Mitgliedschaft C.s ebd. Neben versch. dichter. Fragm. auf der Rückseite von Zchngn und in anderen Quellen ist ihm jedoch das berühmte, Niccolò dell'Abate gewidmete Sonett zu verdanken, welches in der Form eines humorvollen Rezeptes jene eklekt. Theorie wiedergibt, die als Grundlage der sog. "riforma" in der Kunst der C. anzusehen ist. Trotz wiederholter Zweifel an seiner Autorschaft (v.a. von Mahon), gilt das Sonett heute einmütig nicht als Fälschung des Malvasia. Vielmehr decken sich seine Inhalte vollst. mit der kulturellen Bildung und künstler. Praxis der C. Es besteht also kaum Grund, Agostino als Autor anzuzweifeln. Allenfalls gebührt Malvasia das Verdienst, dessen Schlüssigkeit mit der Bildwelt der drei C. wiederholt (z.T. etwas forciert) aufgezeigt zu haben. Die von Mahon dargelegte Ahistorizität des Begriffs "eclettismo" einmal eingeräumt, ist darauf hinzuweisen, daß dessen Bedeutung unter so versch. Bezeichnungen wie "imitazione", "imitazione selettiva", "selezione", "emulazione" etc. in der manierist. Malerei (und nicht nur in der Lit.) sehr wohl präsent war. Den drei C., v.a. Ludovico, gebührt das Verdienst, einem den Theoretikern der Maniera (Vasari, Armenini und bes. Lomazzo) wohl vertrautes rhetor. aber auch erkenntnisspezif. und didakt. Mittel zu einem neuen, in sich schlüssigen Wert verholfen zu haben. In diesem Sinn unterscheidet der Vergleich mit Bienen, die ihren Honig aus dem Nektar unterschiedl. Blumenblüten produzieren, klar zw. dem Eklektizismus der C. und dem manierist. geprägten: Die Maniera schöpft aus dem bewußten Bildungszitat. Sie veredelt somit das Kunstwerk mit einem 'historisch' intellektuellen Überbau und bewährten Effekten, bisweilen auf Kosten der Einheitlichkeit des Werkes, das somit oft als eine Überlagerung fremder, uneinheitl., ja sogar in sich widersprüchl. Superlative erscheint. Dagegen dienen den C. Anregungen aus früheren oder zeitgen. Werken zur Entwicklung einer höchst individuellen und organ. Bildsprache, durch welche das Fremdzitat in der intellektuellen und visuellen Einheit des Gem. aufgeht, der Bildgegenstand sich an der konkreten Naturwirklichkeit mißt. Ein bes. Beispiel bietet die erw. 'Kommunion des hl.Hieronymus'. In diesem Gem. verschmilzt ein wohldosiertes Raffael-Zitat aus der bolognes. Ekstase der hl. Caecilia mit der klug konzipierten Komp.-Einheit des C.-Bildes: die Figur des Mönches am linken Bildrand inspiriert sich an Raffaels hl. Paulus. Den Unterschied zw. frei und funktional assimiliertem Raffael-Zitat und dessen manierist.-formelhaftem Einsatz verdeutlicht z.B. Vasari (Pala von Camaldoli; Fresko Paul II. empfängt die Ehrung der Nationen, Pal. della Cancelleria; Hochzeit von Esther und Ahasver, Arezzo); hier tritt die Raffael-Figur zwar in abgewandelter Bekleidung auf, verweist aber ganz bewußt auf die Herkunftsquelle und dies ohne Rücksicht auf die Gesamt-Komp. des Gem.
Steckbrief
Maler, Kupferstecher
- Vita-Zeile: Carracci, Agostino, ital. Stecher, Maler, get.16.8.1557 Bologna, +23.2.1602 Parma. Bruder des Annibale, Vater von Antonio und Cousin des Ludovico C.
16.08.1557 (Bologna)
22.03.1602 (Parma)